Bauern, Bonzen und Bomben
das? Hat es einen Sinn? Kommt etwas dabei heraus?
Es hätte einen Sinn, wenn sie die Polizei abschaffen wollten, wenn sie beweisen wollten, Polizei ist schädlich, überflüssig. Dann hätte es einen Sinn. Aber so?
Gareis steht vor seinem Schreibtisch. »Gesuch der Witwe Holm um zehn Zentner Briketts.«
|567| Die froren, also.
»Bitte des Invaliden Mengs an das Städtische Wohlfahrtsamt um Zuwendung von zwei Zentnern Kartoffeln.«
Die hungerten, also.
Die wollten eine Gaslaterne. Das Anschlagwesen war zu verpachten. Geld für den Weiterbau des Krankenhauses zu beschaffen. Konzession für eine Autobuslinie nach Stolpe. Post- oder Bahnaufträge für die vor der Pleite stehende Fabrik von Meckerle (dreihundertfünfzig Arbeiter).
Es gab etwas zu tun, etwas zu beschaffen. Die Stadt wollte versorgt sein.
Und die saßen zusammen, dreihundert Menschen, täglich neun bis zehn Stunden in der Turnhalle, und draschen leeres Stroh. Die wälzten so lange die Zunge im Maul, bis etwas da war, das keine Arbeit in zehn Jahren aus der Welt schaffen konnte.
Der Bürgermeister drückt auf die Klingel, einmal, zweimal, dreimal.
Piekbusch erscheint.
»Sagen Sie einmal, Piekbusch, was haben Sie eigentlich die letzten Tage? Sie wirken so verquollen.«
»Verquollen, Herr Bürgermeister?«
»Wie ein Fenster, das man nicht aufkriegt. – Gibt es hier Flöhe?«
»Flöhe?«
»Die man Ihnen ins Ohr setzt.«
»Mir doch nicht, Herr Bürgermeister!«
Gareis sieht seinen Sekretär lange an.
Aber der hält den Blick aus.
»Also hier gibt es keine Flöhe«, sagt Gareis unmutig. »Wo ist Stein?«
»Der ist wohl noch im Gerichtssaal.«
»Rufen Sie an da. Er soll kommen. Sofort.«
»Jawohl, Herr Bürgermeister.«
»Halt! – Wo bleibt mein Telefongespräch mit Berlin?«
»Ich habe es schon zweimal angemahnt.«
|568| »Wo es bleibt, frage ich.«
Der Sekretär bewegt die Schultern.
»Halt! Was laufen Sie denn ewig weg, Piekbusch? – Warum kommt Pinkus nicht?«
Der Sekretär zögert.
»Na? Reden Sie doch.«
»Pinkus ist im Gerichtssaal.«
»Warum kommt er nicht, wenn ich ihn bestelle?«
»Pinkus läßt sagen, er hat keine Zeit.«
Es kommt trotzig heraus, und diesmal weicht der Sekretär dem Blick des Bürgermeisters aus.
Der pfeift. Langgezogen.
»Siehmalsieh! Hat keine Zeit, der Pinkeles.«
Ganz rasch: »Warten Sie, bleiben Sie da stehen, Piekbusch. Sie bleiben da stehen. Rühren sich nicht!«
Der Bürgermeister geht an den Apparat, immer die Augen auf seinen Sekretär geheftet.
Hebt ab: »Zentrale dort? – Hier Bürgermeister Gareis. – Geben Sie mir das Fernamt.«
Piekbusch sagt: »Herr Bürgermeister …«
»Halten Sie die Schnauze! Sie bleiben stehen. Euch Brüder werde ich …«
»Fernamt dort? Bitte die Aufsicht! Ja, die Aufsicht. Hier ist Bürgermeister Gareis. Ach, entschuldigen Sie, Fräulein, mein Sekretär hat vor netto einer halben Stunde, es können auch vierzig Minuten gewesen sein, ein dringendes Gespräch nach Berlin angemeldet, Preußisches Ministerium des Innern. – Warum kommt das Gespräch nicht? Ja, ich warte, bitte sehen Sie nach …«
Drohend in die Ecke: »Stille biste, Piekbusch. Ich werf Ihnen das Telefonbuch an den Schädel, wenn Sie mucksen!«
»Herr Bürgermeister, ich …«
»Stille …!«
»Ja, Fräulein? Kein Gespräch angemeldet? Das ist ausgeschlossen! Das muß ein Irrtum von Ihnen sein. – Kein Irrtum? Einen Augenblick, Piekbusch, ist es kein Irrtum …?«
|569| »Herr Bürgermeister, ich darf doch …«
»Idiot! – Also, Fräulein, der Irrtum liegt auf unserer Seite. Mein Sekretär hat das verbockt, bitte, geben Sie es mir. Jawohl, Preußisches Ministerium des Innern. Und, Fräulein, Blitzgespräch. Jawohl, Blitzgespräch. Für mich, Bürgermeister Gareis, persönlich. Danke.«
Er legt den Hörer auf. Reckt sich.
Langsam und massig geht er gegen den Türwinkel, drohender Elefant, gegen den bleichen Piekbusch, der dort im Winkel steht.
»Herr Bürgermeister«, beginnt der, seltsam geläufig, vor Angst beredt: »Sie werden mich nicht schlagen, Sie werden mich nicht bedrohen, Herr Bürgermeister. Sie wissen selbst, was Parteidisziplin ist. Ich durfte nicht. Es war mir befohlen.«
»Ihnen befohlen! Wer hat es Ihnen befohlen?«
»Sie wissen, daß ich Ihnen schon mehr gesagt habe, als ich darf. Wenn Sie weg sind,
ich
kriege nicht so leicht eine Stellung wieder, ich will nicht abgebaut werden.«
»Wenn ich weg bin – ist es schon soweit? Sie irren sich, Piekbusch, ihr
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