Bauern, Bonzen und Bomben
richtig hält. Will Frau Marbede Pyramidon für ihre rasenden, mordenden Kopfschmerzen, so verabfolgt er ihr einen Irrigator, »damit Sie endlich mal den Dreck aus Ihren Därmen loswerden«. Und den jungen Männern und Mädchen legt er gern zu ihren Einkäufen |195| Präservativs. »Dann kommt ihr wenigstens nicht ewig nach Gonosan und Tripperspritzen bei mir angelaufen.«
In der letzten Zeit ist die Einhorn-Apotheke fast völlig verödet. Apotheker Heilborn hat seine erzieherische Tätigkeit auch auf die Ärzte Altholms ausgedehnt: Er genehmigt noch lange nicht jedes Rezept, verstärkt und schwächt ab, wie er es für gut hält, und ist darum angezeigt worden.
Lange wird er seine »Abdeckerei«, wie Altholm rachegierig sagt, nicht mehr haben. Aber bis sie ihm das Privileg entziehen, steigt er noch in seinem Laden herum und füllt seine Zeit damit aus, immer konzentriertere Morphinlösungen für sich anzusetzen. Er ist voll beschäftigt, denn die Nadeln seiner Injektionsspritzen müssen stets ausgekocht werden, und dann sind die langen schönen Dämmerzustände da …
Nicht immer ist er allein. Im Provisorzimmer sitzt oft stundenlang neben ihm Frau Schabbelt. Zwei haben sich gefunden.
Dort sitzen sie beide, alt, schmierig, schmutzig, mit grauen, ungekämmten Haarzotteln, verdreckten Fingern, blaß, graugelb, mit zitternden Lippen. Manchmal legt Frau Schabbelt den Kopf auf den Tisch und schläft ihren tiefen Totenschlaf nach den schweren Schnäpsen, die ihr Heilborn braut. Manchmal sinkt sein Kopf vornüber auf die Brust, der Speichel tropft fädig auf Weste und Hemd: Sie sind fort aus Altholm, beide, haben keine Familie mehr, keine Freunde, kein bekanntes, verhaßtes Bett, kein Grab, gekauft und schon eingezäunt, auf dem Friedhof.
Er sagt zu ihr: »Nein, gehen Sie jetzt noch nicht. Jetzt trinken Sie noch einen, und ich nehme eine schöne vierprozentige Lösung.« Er geht in die Apotheke.
Sie starrt auf den Hof, auf das faulende, grau gewordene Stroh der Verpackungen, das häßliche Kistenholz, aus dem rostige Nägel starren.
Nach einer Weile fällt ihr auf, daß er gar nicht wiederkommt, sie fängt an, nach ihm zu rufen: »Herr Heilborn! Herr Heilborn!«
|196| Aber sie wird dessen müde, sie versucht aus den Neigen der Flasche und des Glases einen vollen Geschmack in den Mund zu bekommen, und dann steht sie auf und geht mühsam, taumelnd, sich an Tisch, Stuhl, Schrank und Wand haltend, gegen den Laden hin.
Dort steht Heilborn, an die Wand gelehnt, und lauscht nach draußen. Die hohen Fensteraufbauten verwehren den Blick, aber es dringt herein ein wildes, drohendes Brausen.
»Pssst!« flüstert Heilborn und legt den Finger auf den Mund. »Pssst! Ganz leise sein! Sie wollen mich holen, in die Klapsmühle, aber sie finden mich nicht.«
Auch die Frau lauscht. »Unsinn«, sagt sie mit schwerer Zunge. »Das sind viele. Da ist etwas passiert.«
Sie geht zur Ladentür und öffnet sie.
Grade vor dem Schaufenster der Apotheke steht die Gruppe der Beamten mit der eroberten Fahne. Die Menge ist weit ab, und so sieht Frau Schabbelt den Henning im Rinnstein liegen, blutend, blaß, mit geschlossenen Augen.
Fünf Schritte weiter sitzt auf dem Kantstein ein kleines Männchen, das Gesicht in den Händen, zwischen deren Fingern unaufhörlich Blut hervorströmt.
Leute stehen umher, in größerem Abstand, denn noch immer patrouillieren die Polizisten mit blanker Waffe auf und ab und rufen: »Weitergehen! – Nicht stehenbleiben! – Weitergehen!«
Frau Schabbelt läuft eilig und torkelnd über die Stufen zu dem liegenden Verletzten. Sie beugt sich über ihn, sie ruft ihn, in ihrem Hirn hat es sich verwirrt: Sie meint, ihren gestorbenen Sohn zu sehen.
»Was hast du gemacht, Herbert? Warum liegst du hier? Du sollst hier nicht liegen!«
Sie sieht böse zu dem Apotheker hin, der versucht, den kleinen grauen Mann auf die Beine zu bekommen. »Kommen Sie hierher. Der ist nicht wichtig. Hier ist Herbert. Herbert hat sich verletzt.«
Jetzt bekommen auch Bauern Mut, einige treten heran, |197| helfen der Betrunkenen, Henning aufzuheben. Sie hält seinen Kopf.
»Dorthin«, sagt sie eifrig, »dorthin, in die Apotheke!«
Die Leute schleppen los. Zwei andere führen den kleinen Bärtigen, den der Apotheker von hinten hält.
Durch die Menge drängt der Polizeioberinspektor. »Halt!« ruft er. »Diese Leute sind verhaftet. Keiner darf mit ihnen sprechen. Halt, sage ich!«
Die alte Frau dreht sich um. Aus dem grauen Gesicht mit den
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