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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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Bastelzimmer,
wie sie es immer tat, wenn sie allein sein wollte. Tante Ada blickte auf dem
Weg nach draußen besorgt zu der geschlossenen Tür, machte zögernd einen Schritt
darauf zu, überlegte es sich dann aber anders und ging weiter zur Tenne.
    Annika fragte sich ebenfalls, ob sie mit ihrer Mutter reden sollte.
Sie fand aber erst am späten Vormittag den Mut, an die Tür des Bastelzimmers zu
klopfen und in das Reich ihrer Mutter einzudringen. Der kleine Raum war
vollgestopft mit Regalen und Schubladenschränken. Überall quollen Sophias
Schätze hervor, bunte Stoffe, Fell- und Lederreste, Pappmaschee, Kunsthaar,
Perlen. Auf einer Kommode standen Pinsel und Acrylfarben, auf einer anderen
Kästen voller Knöpfe. Die fertigen Puppen hockten hoch oben auf einem Regal
über dem Türrahmen und sahen auf das Chaos herab.
    »Hallo, Mama«, sagte Annika und blieb in der Tür stehen.
    Sophia saß am Fenster und malte Augen auf einen kleinen Koboldkopf.
    »Ach, du bist es«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Komm doch
herein.«
    Annika betrat so gut wie nie das Bastelzimmer. Es war Sophias
Rückzugsort und für Annika ein fremd anmutender Raum, der ihr vorkam, als würde
er gar nicht zu dem Bauernhaus dazugehören.
    »Ich wollte nur sehen, ob es dir gut geht«, sagte sie und setzte
sich auf einen Hocker.
    »Danke, das ist lieb von dir. Es geht schon wieder.«
    Was natürlich gelogen war. Annika saß da und wusste nicht so recht,
wie sie beginnen sollte. Sie war von klein auf ein Vaterkind gewesen, ihre
Mutter und sie waren sich immer ein wenig fremd geblieben. Vielleicht, dachte
sie nun, bin ich ja gar nicht die Richtige, um Trost zu spenden.
    »Ich habe mich furchtbar erschrocken heute Morgen«, brach ihre
Mutter das Schweigen.
    »Da hat sich jemand einen Spaß mit uns erlaubt«, sagte Annika. »Ich
bin mir ganz sicher. Auch wenn wir nicht sonderlich darüber lachen können.
Trotzdem. Das war bestimmt nicht ernst gemeint.«
    »Vielleicht hast du recht.« Sophia legte den Pinsel aus der Hand und
sah ihrer Tochter direkt ins Gesicht. »Ich habe nur Angst um euch, das ist
alles.«
    Annika wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
    »Es hat hier so viele Tote gegeben«, fuhr ihre Mutter fort, »da ist
es doch kein Wunder, wenn man Angst um seine Familie kriegt. Ein totes Huhn,
ist das nicht eine Warnung? Wenn doch nur Heinrich Uhlmanns Mörder schon
gefasst wäre.«
    »Es wird uns schon nichts passieren.«
    Ihre Mutter wurde sehr ernst. »Ein zweites Mal stehe ich das nicht
durch. Ich glaube nicht, dass ich die Kraft dazu habe, noch einmal ein Mitglied
dieser Familie zu verlieren.«
    »Ach, Mama …«
    »Wer sagt mir denn, dass es keiner auf euch abgesehen hat?«
    Annika wurde verlegen. Sie ließ den Blick über die Stoffreste am
Boden wandern. In dem engen Zimmer wurde es still.
    Sophia betrachtete ihre Tochter. »Ich weiß, ich übertreibe ein
bisschen, was die Sache mit dem Huhn angeht. Mich erinnert das eben alles an
damals, obwohl das Unsinn ist.«
    Annika schwieg. Sie wollte nicht über »damals« reden. Sophia legte
die Hand an Annikas Wange, die Augen voller Wärme.
    »Du hast ihn von allen am meisten vermisst. Marita und Mechthild
haben es besser verkraftet als du, aber sie waren ja auch älter. Natürlich hat
es uns alle sehr getroffen, aber ich glaube, am schlimmsten war es für dich.«
    Sie lächelte traurig. Annika fühlte sich unwohl. Sie wünschte, ihre
Mutter würde das Thema wechseln. Es war, als trennte sie eine unsichtbare Wand,
so war es schon immer gewesen. Sie senkte den Blick und schwieg.
    »Ist das der Grund, weshalb du bei uns auf dem Hof bleibst?«, fragte
Sophia.
    »Ich weiß nicht, was du meinst …«
    »Weil dein Vater dir immer noch fehlt. Du fühlst dich ihm hier nahe,
richtig? Bleibst du deshalb und ziehst nicht weg, um dein eigenes Leben zu
führen, wie deine Schwester Mechthild es getan hat?«
    Annika spürte einen Kloß im Hals. Vielleicht kannte ihre Mutter sie
doch viel besser, als sie immer geglaubt hatte.
    »Ich bin hier, weil es mir gefällt«, sagte sie. »Wenn es nicht so
wäre, würde ich ausziehen.«
    Sophia lächelte. »Natürlich.«
    Sie nahm den Pinsel wieder auf und wandte sich dem geschnitzten
Kobold zu.
    »Bist du so lieb und holst mir zwei Stangen Porree aus dem Garten?
Ich muss mich gleich um das Mittagessen kümmern.«
    Annika stand etwas unbeholfen auf. »Klar. Mache ich.«
    Mit der Türklinke in der Hand sah sie zurück zu ihrer Mutter, die
konzentriert das

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