Bauernjagd
deinetwillen
für Kompromisse eingehen. Dafür bist du viel zu sehr mit dir selbst
beschäftigt.«
»Das ist doch wohl die Höhe! Du willst mir etwas von Benehmen sagen?
Dann pass mal auf, mein Freund. Ich sage dir jetzt …«
»Nein, Tante Ada. Du sagst mir gar nichts. Und weißt du auch,
weshalb? Weil du mich mal kannst, und zwar kreuzweise!«
Damit wandte er sich ab und verschwand in seinem Auto. Er startete
den Motor und setzte den Wagen zurück. Sein Kopf dröhnte. Als er vom Hof fuhr,
sah er Marita im offenen Scheunentor stehen. Die Streitereien hatten sie
offenbar hervorgelockt. Sie blickte verlegen zu Boden und trat von einem Bein
aufs andere.
Er überlegte kurz, ob er anhalten und sich entschuldigen sollte.
Doch seine Wut war noch nicht verraucht.
Vielleicht ist es auch gar nicht so übel, dass ich mal etwas
überreagiert habe. So bin ich diese Sippschaft wenigstens ein für alle Mal los,
dachte er.
Der Wagen fuhr vom Hof und wirbelte in der Auffahrt eine
Staubwolke auf. Noch während Ada ihm wütend nachblickte und Bernhard innerlich
verfluchte, kam Marita auf sie zu, die Hände tief in den Taschen und ein merkwürdiges
Lächeln auf den Lippen. Sie muss alles mit angehört haben!, schoss es Ada durch
den Kopf.
»Du denkst also, der Mörder hat es auf mich abgesehen?«
Was bist du nur für eine dumme Gans! Jetzt hast du in deiner Wut
alles herausgeschrieen, schalt sich Ada.
»Ach nein, das tue ich ja gar nicht«, beeilte sie sich zu sagen.
»Ich habe das nur so dahergesagt, weil ich wütend auf Bernhard war.«
»Du brauchst mir nichts vorzumachen, Tante Ada.«
»Ich weiß nicht, ob es jemand auf dich abgesehen hat«, sagte Ada
kleinlaut. »Aber ich mache mir große Sorgen. Beim Anschlag im Maisfeld, da
hättest du normalerweise auf dem Häcksler gesessen, jeder wusste das. Und jetzt
die Sache mit dem toten Huhn. Ewald Tönnes, Clemens Röttger, Heinrich Uhlmann –
sieht denn keiner, dass wir es mit einer Mordserie zu tun haben? Was muss denn
noch alles passieren?«
Marita schüttelte den Kopf. »Glaub mir, Tante Ada. Niemand will mich
ermorden. Das ist völlig ausgeschlossen.«
»Aber …«
»Ewald ist wahrscheinlich nur verunglückt, und Clemens sollte bestimmt
gar nicht verletzt werden, da war wohl eher der Häcksler gemeint. Und was
Heinrich angeht, da wird die Polizei sicher bald den Täter fassen. Warum sollte
es jemand, der Heinrich ermordet, auch auf mich abgesehen haben? Heinrich und
ich haben doch nichts miteinander zu tun. Wir kannten uns kaum.«
»Und wie erklärst du dir das mit dem Huhn?«
»Da hat sich jemand einen üblen Scherz erlaubt.«
Ada blickte ihre Nichte an. Woher nahm sie diese Gewissheit? Nagte
an ihr denn nicht der geringste Zweifel?
Bevor sie etwas erwidern konnte, wurde die Tennentür aufgerissen,
und Paul stürmte auf den Hof. Er hatte die beiden nicht gesehen, stellte sich
breitbeinig neben sie, stemmte die Hände in die Hüfte und holte tief Luft.
»Maaama! Tante Aaa …«, dann entdeckte er sie und verstummte
überrascht.
Marita lächelte. »Was gibt es denn?«
»Das Essen ist fertig. Oma hat gesagt, ich soll euch rufen.«
»Dann sag Oma, wir kommen sofort.«
Er drehte sich um und lief zurück ins Haus.
»Na, komm schon, Ada. Vergessen wir die Sache am besten. Mir wird
nichts passieren, da bin ich ganz sicher.« Sie legte ihrer Tante kumpelhaft den
Arm um die Schulter. »Wir wollen doch Sophia nicht warten lassen, oder? Sonst
wird noch das Essen kalt.«
Ada nickte und beließ es dabei. Die Zuversicht ihrer Nichte
hinterließ bei ihr jedoch ein seltsames Gefühl.
Das gewaltige Bauernhaus ragte wie ein Ozeandampfer aus
dem Wald. Die Spitze des Fachwerkgiebels erhob sich stolz in den Himmel, die
kleineren Wirtschaftsgebäude hingegen versanken bereits im Wald. Efeu und
Knöterich überwucherten die Dächer, Eschen schlugen an den Mauern aus, und auf
einem Dachfirst spross eine zittrige Birke, die ihre Wurzeln in den alten Stein
bohrte.
Heike blieb mit einem Gefühl der Ehrfurcht stehen. Trotz des
Verfalls strahlte das Gebäude große Würde aus. Die kunstvoll gemauerten Ziegel
des Fachwerks, die gusseisernen Stallfenster und das prachtvolle Tennentor,
alles schien sich eindrucksvoll gegen den Niedergang zu stemmen.
Ein Pfau schritt an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen,
und verschwand hinter einem der Rosensträucher. Dann hallte sein Ruf über den
Hof. Heike fuhr zusammen. So schön diese Tiere auch sein mochten, so scheußlich
waren
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