Bauernjagd
endlich mal an dich denkst.«
»Vielleicht könnte ich morgens vor der Arbeit melken, und nach
Feierabend fege ich die Ställe.«
Doch Marita winkte ab. »Das wirst du schön bleiben lassen! Wir
finden schon eine Lösung, irgendwie geht es immer.« Sie betrachtete Annika
neugierig. »Was ist das eigentlich mit diesem Bernd? Willst du ihn uns nicht einmal
vorstellen?«
»Wir sind nur Kollegen. Da ist sonst nichts.«
»Aber du hättest nichts dagegen, wenn mehr daraus werden würde,
oder?«
Annika wollte bereits dagegenhalten, doch dann ließ sie es bleiben
und stieß einen Seufzer aus.
»Ach, ich weiß nicht. Er ist viel zu hübsch für mich. Außerdem sind
alle hinter ihm her.«
»Na, und?«
»Mir kommt es ja gar nicht so sehr auf das Aussehen an. Weshalb
sollte er sich schon für mich entscheiden? Und selbst wenn er es täte … Wie
lange würde er dann bleiben? Er kann wirklich jede haben.«
Marita grinste. »Sollte er sich für dich entschieden haben, kannst
du ihm das Gesicht zerschneiden. Dann will ihn keine mehr. Und dir kommt es ja
nicht darauf an.«
»Ja«, sagte Annika mit einem schiefen Lächeln, »vielleicht sollte
ich das tun.«
»Und versteck ihn nicht länger vor uns. Ich würde ihn mir gerne mal
ansehen.«
Marita hatte sich bereits abgewandt, als sie innehielt und sich
umdrehte. Sie schien über etwas nachzugrübeln.
»Tante Ada denkt, dass mich jemand ermorden will«, sagte sie dann.
»Wie bitte?«
»Na ja, sie glaubt wohl, dass dieser Mörder von Heinrich es auch auf
mich abgesehen hat.«
»Aber wieso das denn? Wie kommt sie darauf?«
»Wegen des Anschlags im Maisfeld. Sie glaubt, dass es ein und
derselbe Täter war. Und es war allgemein bekannt, dass eigentlich ich auf dem
Bock gesessen hätte.«
»Aber wer sollte denn ein Motiv haben, dich zu ermorden? Das ist
doch absurd!«
Marita hob die Schultern. »Wer sollte ein Motiv haben, Heinrich
Uhlmann zu ermorden?« Doch dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung.
»Tante Ada«, sagte sie, als wäre damit alles erklärt. »So ist sie nun einmal.«
Trotzdem schien das Thema noch nicht erledigt zu sein. Sie
betrachtete Annika prüfend.
»Was glaubst du?«, fragte sie.
»Ich glaube, dass das totaler Quatsch ist. Du hast keinem etwas getan,
und es gibt niemanden, der einen Groll auf dich hat. Weiß der Himmel, welche
Leichen Heinrich Uhlmann in seinem Keller hatte. Du hast jedenfalls keine.«
Marita nickte. Offenbar war sie mit der Antwort zufrieden. »Ich geh
jetzt mal duschen«, sagte sie und verschwand auf dem Flur.
Annika erinnerte sich daran, was ihre Mutter gesagt hatte. Dass sie
es nicht ertragen würde, ein weiteres Mitglied der Familie zu verlieren. Keine
von ihnen würde das ertragen. Und deshalb würde es auch nicht passieren.
Niemals.
Ada hatte im Kuhstall das Licht eingeschaltet,
Leuchtstoffröhren erhellten die Gänge und den Boxenlaufstall. Es wurde nun
jeden Tag ein bisschen früher dunkel, der Winter würde nicht mehr lange auf
sich warten lassen.
Sie fegte das Heu von den Gängen. Es waren immer gleiche Bewegungen,
Meter für Meter. Sie nutzte die Zeit zum Nachdenken.
Rätsel sind doch deine Stärke, Ada. Verflucht noch mal, du musst
doch dahinterkommen, was hier geschieht.
Während der Mittagsruhe hatte sie keinen Schlaf gefunden und sich
schließlich ein Sudoku-Heft geschnappt. Doch am Ende hatte sie nicht eine
einzige Zahl in ein Kästchen eingetragen, stattdessen hatte sie unten am Rand
drei Namen aufgelistet: Heinrich Uhlmann, Ewald Tönnes und Marita Horstkemper.
Heinrich und Ewald waren Trinkbrüder gewesen, sie hatten sich gut
verstanden, trotz aller Streitigkeiten innerhalb der Familie. Doch wie passte
Marita in diese Reihe? Ada suchte unentwegt nach einer Verbindung, doch es fiel
ihr keine ein.
Eine der Kühe hatte ihren Kopf durch die Streben gesteckt und
stupste Ada mit der Schnauze an. Es war Mina, ihre Lieblingskuh. Sie war zur
Welt gekommen, obwohl der Tierarzt ihre Mutter bereits aufgegeben hatte. Ada
war Tag und Nacht nicht von ihrer Seite gewichen. Schließlich war die alte Kuh
wieder auf die Beine gekommen, und Mina hatte es geschafft. Sie war etwas
kleiner als die anderen und gab am wenigsten Milch, doch dass sie überhaupt
lebte, war Ada genug. Sie hatte sich nicht unterkriegen lassen.
Genau wie sie selbst.
»Na, Mina?« Ada kraulte ihr das Fell zwischen den Augen. »Du kannst
mir beim Rätselraten auch nicht weiterhelfen, oder?«
Die Kuh blickte sie mit großen, traurigen Augen an
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