Bauernjagd
ging eine
Weile vor dem Fenster auf und ab, dann fasste sie einen Entschluss. Sie
schnappte sich ihren Autoschlüssel und ging hinaus zur Garage. Ließ das Rolltor
hochrattern und setzte sich hinters Steuer. Dort atmete sie durch. Die
Außenbeleuchtung warf ein grelles Licht auf den Hof, drum herum herrschte tiefe
Dunkelheit. Sie fühlte sich mit einem Mal unendlich einsam. War es richtig, was
sie vorhatte? Sollte sie nicht besser zu Hause bleiben und warten, bis Clemens
zurückkehrte?
Doch dann ließ sie den Motor an und fuhr aus der Garage hinaus. Sie
bog auf die Straße in Richtung Münster. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie fuhr
schneller als erlaubt, es waren kaum andere Autos unterwegs. Den Blick hielt
sie starr auf die Landstraße gerichtet, das Ziel fest vor Augen.
Es dauerte keine halbe Stunde, bis sie die Stadtgrenze erreicht
hatte. Weitere fünfzehn Minuten, und sie bog in die Straße, in der Clemens’
Bruder wohnte. Vor dessen Haus ließ sie den Wagen ausrollen. Sie blickte über
den Gartenzaun. Johannes besaß einen Bungalow aus den Siebzigern, mit Flachdach
und einer großen Fensterfront. Sie konnte direkt in sein Wohnzimmer
hineinsehen. Er hockte in seinem Ohrensessel, las in der Zeitung und paffte
eine Pfeife. Nichts deutete darauf hin, dass er Besuch hatte. Nicht einmal
seine Frau und seine Kinder schienen zu Hause zu sein.
Sie entdeckte eine freie Parkbucht gegenüber des Bungalows und
stellte den Motor ab. Ihr Herz klopfte wild, sie nahm ihr Handy und wählte die
vertraute Nummer. Durchs Wohnzimmerfenster sah sie, wie Johannes den Kopf hob
und lauschte. Dann legte er die Zeitung beiseite, stand schwerfällig auf und
holte das Schnurlostelefon von nebenan.
»Röttger«, meldete sich seine Stimme an ihrem Ohr.
»Hallo Johannes, hier ist Gabriele.«
»Gabi, das ist ja eine Überraschung.« Er setzte sich wieder in
seinen Sessel. »Wie geht es dir? Wir haben ja lange nichts voneinander gehört.«
»Es geht mir gut, danke. Die Sache mit dem Sabotageakt hat uns
natürlich sehr mitgenommen, aber inzwischen haben wir uns alle wieder etwas
beruhigt. Eigentlich wollte ich mit Clemens sprechen. Kannst du ihn kurz ans Telefon
holen?«
»Er ist gerade auf die Toilette gegangen. Ist es denn wichtig?«
»Nein. Ich wollte ihn nur etwas fragen.«
»Ich sage es ihm, wenn er wiederkommt. Dann ruft er dich zurück.«
Gabriele zögerte. Sie wollte das Gespräch hinauszögern. Als hätte er
ihre Gedanken gelesen, sagte Johannes: »Ich würde ja gerne so lange mit dir
plaudern, aber dann brennt mir das Essen an. Ich stehe hier gerade am Herd und
koche für uns.«
Sie spürte eine kalte Hand nach ihrem Herzen greifen.
»Also gut. Dann sag ihm bitte, er soll mich zurückrufen.«
»Das mache ich. Bis bald, Gabi.«
Sie beendete das Gespräch. Johannes betrachtete das Telefon in
seiner Hand, dann wählte er eine Nummer. Sie sah, wie er mit jemandem redete.
Keine Minute, dann legte er das Gerät wieder fort und nahm die Zeitung auf.
Gabriele wartete. Kurz darauf klingelte ihr Handy. Auf dem Display
leuchtete Clemens’ Nummer.
»Bist du nicht zu Hause?«, begrüßte er sie. »Ich habe es auf der
Festnetznummer versucht.«
»Nein, ich war gerade bei Manfred. Wegen der Beerdigungsfeier.«
»Du solltest nicht alleine unterwegs sein. Nicht nach allem, was
passiert ist.«
»Du hast recht. Wo bist du?«
Sie wurde von der wilden Hoffnung getrieben, dass er ihr die
Wahrheit sagen würde. Vielleicht gab es für alles eine ganz einfache Erklärung.
»Bei Johannes. Ich bin kurz vor die Tür gegangen, um dich
zurückzurufen. Was gibt es denn?«
Ihr wurde schwindelig. Doch sie riss sich zusammen.
»Ich wollte nur fragen, wann du nach Hause kommst. Ich könnte auf
dich warten. Vielleicht trinken wir noch ein Glas Wein zusammen.«
»Lass uns das besser ein andermal machen. Johannes hat gekocht, wir
essen gleich. Es wird wohl heute etwas länger dauern.«
Sie brachte kein Wort mehr heraus.
»Wir holen das nach, versprochen. Gute Nacht.«
Clemens drückte die Verbindung weg. Aus ihrem Handy drang kein Laut
mehr. Langsam ließ sie es sinken. Am liebsten hätte sie losgeheult. Doch das
durfte sie nicht, noch nicht. Sie öffnete den Sicherheitsgurt und verließ ihren
Wagen. Mit schnellen Schritten ging sie über die Straße und läutete an
Johannes’ Haustür Sturm, so lange, bis er verwundert öffnete. Seine Augen
weiteten sich, als er sie erkannte. Er blieb wie angewurzelt stehen.
»Clemens ist gar nicht hier«,
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