Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Mittlerweile jedoch hatte sie die Ansprüche an sich selbst um ein Vielfaches hinaufgeschraubt und wäre von Pannen während der Umsetzung sehr enttäuscht. Sie wollte das sogenannte Wachsausschmelzverfahren probieren.
Sie begann, mit dem Pinsel die erste Schicht Silikon aufzutragen und konzentrierte sich. Jede noch so kleine Luftblase, die sie mit einschloss, führte zu einem Fehler, der nach dem Guss nur mit viel Mühe oder oftmals auch gar nicht mehr zu beheben war. Die Silikonmasse wurde aus unterschiedlichen Komponenten angerührt. Diese Arbeit überließ sie gern Johannes, denn der hielt penibel das Mischungsverhältnis ein und rührte die Masse exakt so lange, wie es vorgeschrieben war. Er wirkte heute ruhig und aufgeräumt, die vergangene Woche schien jedoch in ihm nachzuhallen, was sie etwas traurig machte, da sie einen kinderfreien Tag hatten. Henriette war bis zum nächsten Tag bei ihren Eltern einquartiert. Ein Verwöhnwochenende für beide Seiten. Würden sie es genießen können?
Sie hatte sich für den Pinsel mit den feinsten Borsten entschieden und strich mehrfach über jedes Detail. Das Zeug stank ein wenig, doch es war auszuhalten.
Johannes gehörte nicht zu den Polizisten, die ihre Fälle mit nach Hause nahmen und dann grübelten, worüber sie froh war. Es war so, als ob er seinen Beruf wie einen Mantel an die Garderobe hängte und dort ließ, bis er zurück ins Präsidium fuhr. Selten einmal wühlten ihn die Ereignisse so auf, dass er diesen Übergang zwischen Arbeit und Privatem nicht schaffte. Diesmal war es nicht so, das sah sie seinem nach innen gewendeten Blick an. Gott sei Dank schien der Fall gelöst zu sein, und er bekam die Chance, Abstand zu den Geschehnissen zu gewinnen, auch wenn sie selbst von Alexander erschrocken war.
»Alles in Ordnung?«
Er schrak hoch. »Bitte?«
»Du rührst dich gerade ins Koma.«
»Ich war ...«
»... auf der Arbeit«, beendete sie seinen Satz.
»Ja.«
»Ich dachte, der Fall sei geklärt?« Sie drehte die Skulptur und machte auf der Rückseite weiter.
»Mir geht immer wieder der Anruf bei dieser Bergner durch den Kopf. Der Informant hat sich mit dem Geschehen ausgekannt und Alexander entlastet. Und der hat in der Küche den Mord ja auch geleugnet. Beides zusammen macht mich stutzig. Stell dir vor, wir haben uns getäuscht.«
Claudia antwortete nicht gleich. Sie strich das Silikon über den Rücken der bulligen Figur und achtete darauf, nicht zu dick aufzutragen. »Wo willst du denn noch ansetzen?«
Lichthaus zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wir haben alles durchleuchtet und wirklich jedes Indiz weist auf Görgen hin. Klar kann er gelogen haben, und der Anruf beim Volksfreund stammt von irgendeinem Wichtigtuer. Aber ...«
Claudia beugte sich vor und küsste ihn leicht auf die Wange. »Dann warte einfach ab, bis Görgen vernehmungsfähig ist. Bis dahin kannst du nichts weiter tun. Und jetzt her mit dem Silikon!«
*
Egbert Kaiser sprang aus dem Mercedes, froh in der gut gefüllten Tiefgarage einen Parkplatz nahe der Treppe gefunden zu haben. Er wäre lieber zu Hause geblieben, die Probleme wuchsen ihm über den Kopf, und er brauchte Zeit zum Nachdenken, wollte Lösungen suchen, die einen Ausweg aus seinem Dilemma boten. Doch er musste sich heute sehen lassen, an der Sitzung des Kreisverbandes teilnehmen, denn hier trafen sich die Garanten seines politischen Erfolgs. Er verstand allerdings nicht, warum das Treffen immer mitten in der Fußgängerzone stattfand. Da üblicherweise für sechs Uhr am Abend eingeladen wurde, waren die Parkmöglichkeiten meistens noch rar, und anschließend hatte man ewig zu laufen, um wieder zum Auto zu kommen.
Sein Handy spielte »We are the Champions«, einen Klingelton, den seine Tochter Janina ihm aufgespielt hatte. Eigentlich Schwachsinn, aber ihr konnte er kaum etwas abschlagen. Unwillig nahm er das Gespräch an und verdrehte die Augen, als seine Frau ihm motzig mitteilte, dass sie nun zu der Einladung ginge, die er der Sitzung wegen abgesagt hatte. Er ließ sie ausnörgeln und würgte sie dann ab. Sie hatte keine Ahnung, was in ihm vorging, und regte sich über Dinge auf, die ihn nicht die Bohne interessierten. Auch mit ihr würde er reden müssen, später. Verdammt, was für ein verfluchter Mist! Er grummelte noch vor sich hin, als wie aus dem Nichts ein Mann auftauchte. Der Typ, ein Ausländer, trug eine schwarze Jogginghose, dazu eine Lederjacke. Die Haare hatte er kurz geschnitten, im Nacken fielen
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