Bauernopfer
noch einen Termin aus wegen der schriftlichen Aussage. Wiedersehn.«
Zusammen mit Frau Bichler verließen Sandra und Charly das Haus. Als sie die Tür ihres Sportwagens öffnete, sprach Charly sie noch einmal an: »Entschuldigung, Frau Bichler!«
»Heudeck-Bichler«, verbesserte sie ihn.
»Frau Heudeck-Bichler, jetzt haben wir es beinahe vergessen. Mir müssten noch wissen, wo Ihr Mann am Samstag war. Routinemäßig, für die Akten.«
»Vormittags war er mit mir zu Hause und nachmittags beim Tennis. So wie jeden Samstagnachmittag. Im Donau-Ruder-Club. Samstags und mittwochs. Auf Wiedersehn.« Sie setzte sich in ihr Cabriolet, stieß zurück und fuhr Richtung VHS davon.
»Donau-Ruder-Club! Elitärer Verein, sehr nobel«, sagte Charly.
»Alles recht nobel hier. Aber wahrscheinlich verdient er gut, der Herr«, antwortete Sandra. »Und die Heuschreck geht ja auch noch in die Arbeit.«
»Heudeck!«, verbesserte Charly.
»Sieht aber aus wie ein Heuschreck, wie eine Gottesanbeterin. Hast die großen Augen und die langen, dünnen Arme gesehen? Der trau ich auch zu, dass sie ihr Männchen nach dem Liebesakt auffrisst.«
»Du meinst, der Kevin ist gar nicht von ihm?« Beide lachten.
Mit dem Bus zur Arbeit zu fahren hatte die meist unvermeidliche Folge, auch mit dem Bus wieder nach Hause fahren zu müssen. Doch während am Morgen Charlys Unwille noch von wattierter Schläfrigkeit gedämpft worden war, traf ihn am Abend das pulsierende Leben mit voller Wucht. Der Geruch von Zahnpasta, Parfüm und Rasierwasser war verflogen und zu einem Mix aus Schweiß, Stress, Anstrengung, Zigaretten, Bier, Schnaps, Bratfett, Fischsemmeln und Kebab geworden.
Charly musste in dem überfüllten Bus stehen. Er fuhr gleich bis Reichertshofen durch und traf kurz vor seinem Termin in der Arztpraxis ein. Nach der Geruchssymphonie im Bus empfand er die gedämpften Aromen von Desinfektionsmitteln und Mullbinden fast wohltuend.
»Ach ja, der Herr Valentin«, begrüßte ihn das Mädchen am Empfang, und Charly hatte den vagen Verdacht, dass sie es war, die heute morgen über seinen Witz nicht hatte lachen können.
»Kommen S’ gleich mit, Herr Valentin.« Sie führte ihn in ein Behandlungszimmer, in dessen Mitte eine Massageliege mit Papierbezug stand. »Wenn S’ vielleicht den Oberkörper gleich frei machen. Es kommt dann sofort wer zu Ihnen.«
Allein quälte Charly sich aus seinem Hemd und streifte sein T-Shirt ab. Dann setzte er sich auf die Liege. An der Wand des Orthopädiezimmers war ein mannshoher Spiegel angebracht. Und was Charly da sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Über den Bund der Jeans quoll ein gewaltiger Rettungsring, und die Hüften waren gut gepolstert. Bauch einziehen und Kreuz durchdrücken bereitete im Sitzen höllische Schmerzen. Also stand er auf. So sah es schon besser aus. Stehend wartete er auf den Arzt.
Hoffentlich kommt auch der Doktor, dachte Charly. Der würde ihm in seiner direkten Art zwar sagen, dass er zu fett sei, aber damit konnte Charly leben. Wenn aber stattdessen seine junge, hübsche Kollegin käme, dann würde es peinlich werden. Vor ihr würde er sich bestimmt doppelt so dick fühlen.
»Warum setzen Sie sich denn nicht hin?«, fragte die Ärztin, als sie das Behandlungszimmer betrat. Sie war wirklich jung. Und sie war sehr hübsch.
Charly grüßte, setzte sich, biss die Zähne zusammen und zog den Bauch ein, soweit es eben ging. Er beschrieb seine Beschwerden und sie untersuchte mit zarten, warmen, weichen Händen seinen Nacken.
»Ich nenne das Maussyndrom«, teilte sie ihm schließlich mit. »Es befällt Menschen, die viel vor dem Computer arbeiten. Nacken und rechte Schulter. Ganz typisch. Ich geb Ihnen eine Spritze und verschreib Ihnen ein paar Tabletten, die die Muskelpartien entspannen. Heute Abend halten Sie sich noch warm und die Schulter ruhig, und morgen müsste es dann schon wieder besser gehen.«
Charly war erleichtert. Eine Spritze, eine Tablette und fertig, das war einfach.
Dann musterte sie Charlys Figur. »Es kann natürlich auch nicht schaden, wenn Sie Ihr Knochen- und Muskelgerüst entlasten. Mit fünf oder sechs Kilo weniger würden Sie sich erheblich wohler fühlen. Mehr Bewegung. Mal eine Runde Joggen vielleicht. Auf eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung achten, mehr Gemüse, Rohkost, Salate, Mehlspeisen aus Vollkorn und so weiter. Immer nur Fleisch ist nicht so gesund.«
Petra hatte ihn in der Praxis abgeholt. Jetzt lag er zu Hause auf dem Sofa und
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