Bauernopfer
den groß aufgemachten Artikel von Hubert Riederer sah.
Der Bericht stellte in der Überschrift die Frage, ob die Personalmisere der Polizei hausgemacht sei. In dem Beitrag selbst stellte der Lokalreporter dann auf einer Dreiviertelseite die Arbeit der AG Kiara und die Ermittlungen im Fall Bichler gegenüber. Während Riederer die fragwürdigen Hintergründe des Falles Kiara beleuchtete, stellte er fest, dass es sich beim Fall Bichler aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Tötungsdelikt handelte, das von einem Minimalteam nebenbei bearbeitet werden musste. Und er warf provokant die Frage auf, ob die Personaldisposition der Führungskräfte den Realitäten angepasst sei. Bei all seinen Aussagen berief sich Riederer auf Aussagen von erfahrenen Ermittlern, deren Namen jedoch wie üblich nicht genannt wurden.
Zwar wusste Charly, dass die Informationen nicht von ihm gekommen waren, aber er ahnte bereits, dass man ihm vorhalten würde, sich über die Presse mit seinem Fall in den Vordergrund zu drängen, auch wenn es vielleicht nicht offen ausgesprochen wurde.
Besonders unglücklich – oder auch gewollt – war die Platzierung eines Bildes von der vergangenen Pressekonferenz der AG Kiara. Auf dem Bild waren Barsch, Garn, PD-Leiter Rubin und der Leitende Staatsanwalt Dr. Brenneisen zu sehen und es befand sich genau in der Textpassage, in der nach dem Realitätsverlust der Führungskräfte gefragt wurde. Im Text zum Fall Bichler sah man ein Foto des Bichler-Hofes, vor dem einsam der Spurensicherungs-Kombi parkte. Ein einzelner Erkennungsdienstler im weißen Anzug war an der Eingangstür des Wohnhauses zu Gange. Dieses Bild musste Riederer letzten Montag in aller Frühe geschossen haben, noch bevor eine Presseerklärung rausgegangen war.
Nachdem Charly den Artikel zweimal gelesen hatte,’war der Kaffee kalt und seine Freude über das gute Frühstück verflogen.
Über eine Stunde warteten Charly und Sandra am Nachmittag, bevor Manfred Bichler gegen 15.00 Uhr endlich sein Haus verließ. Es war nicht einfach, in dem dorfähnlichen Wohngebiet, wo jedes fremde Fahrzeug sofort auffiel, als Observant nicht zu verbrennen. Besonders natürlich, da das Ziel der Beobach tung sie bereits als Polizisten kannte und keine Kollegen zum Durchwechseln bereit standen, wie es das kleine Observationshandbuch im Kapitel Grundlagen vorsah. Darum mussten sie mit ihrem silbernen Opel Astra sehr weit zurückbleiben, als Bichler sich zu Fuß auf den Weg zum Sportheim machte, um dort wie jeden Samstag das Gekicke der Millionenstars des FC Bayern München auf einem Großbildfernseher zu verfolgen. Auch am Sportheim, das allein am Ende einer Sackgasse am Ortsrand lag, wurde es nicht einfacher. Charly entschied sich für einen Standplatz, von wo aus sie das Sportheim selbst nicht sehen, den Fußgänger- und Fahrzeugverkehr zum und vom Sportheim aber beobachten konnten. Dort richteten sie sich auf eine längere Standzeit ein. Charly stellte das Radio an und sie verfolgten die Spielreportage auf Bayern 1.
Die Halbzeitpause war gerade vorüber, als jemand an die Scheibe der Fahrertür klopfte. »Darf ich euch beiden einen Kaffee bringen?«, fragte Frau Kornburg. »Ihr habt’s bestimmt noch einen langen Tag vor euch.«
Natürlich: Zeugin Theresa Kornburg, Lechermannstraße, schoss Charly durch den Kopf. Sie hatten ihren Beobachtungsposten nur ein paar Meter entfernt von Frau Kornburgs Haus bezogen. Soviel zum Thema verdeckte Observation im ländlichen Raum.
Das beharrliche Ablehnen nutzte nichts. Frau Kornburg bugsierte ein Tablett mit einer Thermoskanne voll Kaffee, zwei Tassen aus der Romanze- Serie von Rosenthal und zwei passende Teller mit Marmorkuchen durchs Fenster herein und wünschte einen guten Appetit. Charly beschloss, diesen Teil der Observation im späteren Aktenvermerk nicht zu berücksichtigen.
Unmittelbar nach dem Schlusspfiff verließ Bichler das Sportheim und ging zur nahegelegenen Bushaltestelle. Frau Kornburg tauchte nicht mehr auf, und so blieb das Tablett mit Tassen und Tellern auf dem Rücksitz liegen, als sie dem Linienbus in die Stadt folgen mussten.
Erst am Hauptbahnhof stieg Bichler wieder aus. Charly stoppte den Astra vor dem Bahnhofseingang, wo das quirlige Kommen und Gehen eine gute Deckung bot. Bichler ging um das Bahnhofsgebäude herum zu den Gleisen. Um ebenfalls zu den Bahnsteigen zu gelangen, spurtete Charly quer durch die Bahnhofshalle. Er befürchtete, Bichler könnte in einen Zug steigen und wegfahren.
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