Bauernopfer
ist doch Quatsch. Das tu ich nicht. Aber die Erfahrung zeigt, dass in der Mehrzahl dieser Fälle die Aussagen …«
Mit einer königlichen Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. »Pah, die Erfahrung! In der Geschichte gibt es hunderte Beispiele dafür, dass genau durch diese chauvinistische Denkweise immer wieder Frauen benachteiligt und unterdrückt wurden.«
Charly überlegte kurz, es fielen ihm aber auf die Schnelle keine entsprechenden Beispiele ein. »Das hier ist aber nicht Geschichte«, konterte er. »Das ist hier und jetzt. Und darum zählt die polizeiliche Erfahrung. Und die sagt …«
»Mittelalterlich«, urteilte Frau Dorothea. »Damals hatten auch angeblich unfehlbare Männer Angst vor Frauen, die den Mund aufmachten, und waren nicht bereit, ihr Patriarchat aufzugeben.«
Charly sträubten sich die Nackenhaare. Als Brunhilde die Hexenverbrennungen in ihre Argumentationskette einbaute, wurde es ihm zu viel. Beschwichtigend hob er die Hände, um die Lautstärke des Gespräches wieder ein wenig zu dämpfen. »Also, ich werde als Ermittler weiterhin die Angaben aller Beteiligten hinterfragen. Aber ich verspreche zu versuchen, die Aussagen von Mädchen und Frauen, Zeuginnen und Opferinnen nicht aufgrund meiner männlichen Grundausrichtung zu präjudizieren. Besonders vor Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen werde ich genau überprüfen, ob sie wirklich gerechtfertigt sind.«
Frau Dorothea verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich grußlos zum Gehen. In der Tür stieß sie fast mit Sandra zusammen, die gerade von Frau Kornburg zurückkam. »Hallo! Dorothea Skrapczik.«
»Gesundheit!«
Die Frauenbeauftragte lächelte über den kleinen Scherz.
»Arbeiten Sie mit dem Herrn Valentin zusammen?«
»Ja.«
Verschwörerisch beugte sich Frau Dorothea nach vorne und legte Sandra die Hand auf die Schulter. »Wenn es da mal Probleme gibt, weil Sie nicht ernst genommen werden oder wenn Sie dumm angemacht oder ausgenutzt werden, dann wenden Sie sich ruhig an mich. Mit solchen Typen werden wir schon fertig.«
»Genau«, Sandra rieb an ihrer hübschen Nase wie Wickie beim Nachdenken, »am Samstag bei der Observation!« Sie schnippte mit den Fingern, auch wie Wickie. »Da hat er mit mir voll absichtlich in der Kiss-and-Ride-Zone vor dem Bahnhof geparkt.« Sandra tat, als sei sie heilfroh, dass ihr endlich jemand zuhörte, und Frau Dorothea war ganz Ohr.
»Und dann – stellen S’ Ihnen das vor – dann wollt er absolut nicht schmusen mit mir. Obwohl ich’s ihm überdeutlich angeboten hab.«
Die Frauenbeauftragte öffnete den Mund, fand aber anscheinend keine Worte, klappte den Mund daher wieder zu, machte auf dem Absatz kehrt und entschwand.
»Jetz’ hast du dir’s mit einer hochrangigen Verbündeten im Kampf der Geschlechter verscherzt«, klärte Charly seine Kollegin auf. »Könntest du übrigens eventuell die DNA-Anträge für die Gambrini-Steinmetz schreiben, falls es Dir nichts ausmacht? Ich will dich jetzt da wirklich nicht in irgendwas reindrängen. Du kannst es ruhig sagen, wenn es dir nicht passt, dann schreib ich’s halt selber. Aber ohne irgendwie so wirken zu wollen als …«
»Halt die Klappe jetzt«, unterbrach ihn Sandra und schlug ihm an den Hinterkopf. »Ich schreib die Anträge ja.«
Kurz darauf kehrte auch Helmuth von seinen Erledigungen bei der Inspektion zurück, setzte sich an seinen PC und fuhr damit fort, Daten in STUPID einzugeben. »Zefix.«
Abgesehen davon arbeiteten alle drei still und konzentriert vor sich hin und man hörte eine Zeit lang nur das Klacken der Tasten von Helmuth und Sandra und das Rascheln des Papiers, wenn Charly in den Ermittlungsakten blätterte. Unterbrochen wurde die Konzentration nur von der Mittagspause, in der Helmuth für alle Leberkäs-Semmeln holte und sie sich eine Kanne Kaffee brühten.
Sandra war gerade mit den DNA-Anträgen zur Staatsanwaltschaft unterwegs, als Wenz anrief und mitteilte, dass der Müller jetzt da sei. Der Name Müller sagte Charly gar nichts. Erst als Wenz erklärte, dass es sich um den Wirt des Hirschen handelte, fiel der Groschen.
Als er Wenz’ Büro betrat, hatte Charly den Eindruck, der Geruch nach Staub und verbrauchter Luft sei verschwunden. Doch er wurde nur von einer Mischung aus Frittierfett, gebratenen Zwiebeln und Currypulver überdeckt. Wenz gegenüber saß ein hagerer Mann von etwa 50 Jahren, der eine speckige Cordhose, ein Karohemd und darüber eine abgewetzte schwarze Weste trug. Wenz stellte ihn als
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