Bauernsalat
war ziemlich schnell klar, was passiert war. Der Bauer hatte sie vergewaltigt, und das schon zum zweiten Mal. Beim ersten Mal, ein paar Wochen zuvor, hatte sie nicht gewagt, sich an jemanden zu wenden. Sie hatte wohl gehofft, daß es nie wieder passieren würde. Beim zweiten Mal war ihr klar, daß sie dem Bauern ausgeliefert war, daß er es immer wieder tun würde.«
»Und dann? Was haben Sie getan?«
»Maria Scholenski wollte nicht zur Polizei gehen, auch nicht mit mir zusammen. Sie war völlig verängstigt und hatte nur einen Wunsch: daß sie nicht mehr zurück auf den Hof mußte.«
»Aber Sie müssen doch irgend etwas unternommen haben!«
»Ich habe dafür gesorgt, daß Maria Scholenski tatsächlich nicht mehr auf den Hof zurückkehren mußte. In der Nacht selbst habe ich sie zu meiner Küsterin gebracht – eine herzensgute Frau, die nicht weit entfernt wohnte. Sie hat sich um das Mädchen gekümmert, sie gebadet und zu Bett gebracht. Am nächsten Tag haben wir dann überlegt, was zu tun sei. Es erschien uns sinnlos, auf irgendwelche behördliche Hilfe zu warten. Daher haben wir uns selbst gekümmert. Meine Küsterin hat dann über ihre Schwester eine Adresse herausgefunden von einem anderen großen Hof im Münsterland. Dort konnte sie Maria unterbringen, wieder als Magd, aber weit weg von ihrem Peiniger. Das war das Wichtigste für sie.«
»Was ist mit Schulte-Vielhaber passiert? Wie ging es weiter?«
»Maria hat ihn nicht angezeigt, ohne ihre Aussage hätte auch ich nichts ausrichten können. Daher hatte er polizeilich nichts zu befürchten. Sie dürfen auch nicht denken, daß die Zeiten so wie heute waren. Heute ist man sehr sensibel für dieses Thema, damals ist es ein ums andere mal unter den Teppich gekehrt worden. Wie bitter das jetzt auch klingen mag:
Fälle wie Maria Scholenski hat es mit Sicherheit auf dem Lande sehr häufig gegeben. Nur leider hat niemals jemand von den Opfern erfahren.«
»Und Sie? Haben Sie selbst nie mit dem Bauern gesprochen?«
»Natürlich habe ich das. Gleich am nächsten Tag, als ich Marias Sachen geholt habe. Er hat alles abgestritten, man solle ihm erstmal was beweisen, hat er gebrüllt. Diese Magd habe es vielmehr auf ihn abgesehen, doch habe er immer widerstanden. Ich habe ihm sogar die Beichte angeboten, aber auch das hat er kategorisch abgelehnt. Hätte er gebeichtet, hätte ich Ihnen diese Geschichte auch gar nicht erzählen dürfen.«
»Maria kam also auf einen anderen Hof und die Sache war vergessen.«
»Im Grunde ja. Natürlich haben einige Leute im Dorf etwas mitbekommen. Aber viel geredet wurde darüber nicht. So groß der Hang zum Tratsch auf dem Lande auch ist, bei bestimmten Themen hält man sich raus und will nichts Falsches sagen.«
»Was ist aus Maria geworden? Haben Sie später noch von ihr gehört?«
»Sie ist auf dem Hof geblieben und hat es auch gut dort gehabt. Soviel hat meine Küsterin gelegentlich in Erfahrung bringen können. Ich selbst habe erst Jahre später von ihr einen Brief erhalten. Sie wollte sich bedanken.«
»Wann ist der Brief gekommen? Haben Sie ihn noch?«
»Die ganze Sache ist 1946 passiert, etwa acht Jahre später kam der Brief, so ganz genau kann ich das leider nicht mehr sagen. Zeigen kann ich Ihnen den Brief auch nicht. Ich mußte mich von den meisten Dingen trennen, als ich hier eingezogen bin. Allzu viel Platz ist ja hier nun mal nicht.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo Maria Scholenski jetzt sein könnte? Oder wissen Sie, wer mir helfen könnte, sie zu suchen?«
»Meine Küsterin ist lange tot, ihre Schwester vermutlich auch. Ich habe keine Ahnung, ob jemand aus dem Dorf noch weiß, wo sie heute wohnt. Aber selbst wenn jemand wußte, wo sie hingekommen ist, zum Beispiel eine von den Domscheidt-Schwestern, die mit meiner Küsterin sehr viel Kontakt hatten, so ist ja nicht sicher, daß sie nicht längst – Sie war damals Anfang, Mitte zwanzig, wie ich schon sagte. Vielleicht lebt sie schon nicht mehr.«
Alexa sackte resigniert zusammen.
»Und wenn sie lebt, meinen Sie, eine Fünfundsiebzigjährige zieht zum Ende ihres Lebens los, um sich zu rächen?«
»Keine Ahnung! Aber auszuschließen ist es nicht!«
»Sie sind sehr beharrlich!« Der Herr Geistliche Rat Rohberg blickte auf die Wanduhr und erhob sich vorsichtig aus seinem Sessel. Er bewegte sich unsicher auf den Beinen.
»Arthrose«, sagte er, »da kann man nichts machen. Wenn Sie mögen, können Sie mich gern zum Essen begleiten. Es ist natürlich keine sehr
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