Baustelle Demokratie
Quartiersmanagement im Rahmen der »Sozialen Stadt«, öffentliche Versammlungsräume und Treffpunkte für Engagierte, kommunale Ehrenamtsbüros, hauptamtliche Freiwilligenmanager vor Ort, Weiterbildung und Qualifizierung von Engagierten und Verwaltungsangestellten – all diese Ermöglichungsstrukturen für bürgerschaftliches Engagement sind freiwillige Leistungen von Kommunen und stehen damit in Zeiten der Finanzkrise zur Disposition. Das sind schlechte Bedingungen für die Entfaltung der lokalen Bürgergesellschaft.
Für das Problem gibt es eine Lösung, die aber nicht von den Kommunen, sondern nur von Bund und Ländern realisiert werden könnte; und das wäre ein radikaler Schuldenschnitt zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung. Was an dieser Stelle festgehalten werden soll, ist die Bedeutung des lokalen Engagements für das demokratische Gemeinwesen. Alle Reden über die Bürgergesellschaft laufen ins Leere, solange es nicht gelingt, dauerhaft gute Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen. Wohlgemerkt: Wir sind nicht an einem Wendepunkt oder auf gutem Wege. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden Strukturen weiterhin wegbrechen. Das kann man in manchen Gegenden in Ostdeutschland bereits heute erkennen. Der Einsturz von Gemeinwesenstrukturen wie Jugendtreffs, Vereinen, lebenswerten Innenstädten und lokalen Bildungslandschaften hat zum Erstarken rechtsextremer Ideologie und ihrer Akteure geführt. Die »dunklen Seiten der Zivilgesellschaft« (Roth 2004) schicken sich hier an, die Demokratie zu verschatten. Kann man das zulassen?
Die Gesellschaft verändert sich
Zu einer zeitdiagnostischen Einschätzung der Bedingungen für bürgerschaftliches Engagement und die Entfaltung der Bürgergesellschaft gehören noch weitere Faktoren, die vor allem die Struktur der Bevölkerung in Deutschland betreffen. Sowohl der demografische Wandel als auch die sukzessive Verwandlung der deutschen Gesellschaft in eine Zuwanderungsgesellschaft sind Umstände, die für den Zustand des Gemeinwesens wichtig sind. Denn bei der Frage des Umgangs mit immer mehr älteren Menschen geht es ebenso um gesellschaftlichen Zusammenhalt wie bei der Integration von Zuwanderern.
Niemand kann heute zuverlässig sagen, wie stark der vielbeschworene demografische Wandel in Deutschland tatsächlich ausfallen wird (vgl. zum Folgenden Embacher / Klein 2011a). Die Prognosen weichen erheblich voneinander ab. Mal sind es zwei Millionen weniger Deutsche bis 2050, mal vier Millionen, man weiß es offensichtlich nicht genauer. Das liegt schlicht daran, dass sich die Bevölkerungszahl nicht seriös auf 40 oder mehr Jahre im Voraus berechnen lässt. Man kann einfach nicht wissen, welche Ereignisse und Trends die Entwicklung wie genau beeinflussen werden. Niemand wusste, sagen wir 1910, von den bevorstehenden Katastrophen zweier Weltkriege, die sich in der »Demografie-Zwiebel« deutlich sichtbar eingeschrieben haben.
Ebenso konnte 1945 niemand die vom »Wirtschaftswunder« hervorgerufene »Babyboomer«-Generation vorhersehen. Und auch heute zeigt sich, dass die düsteren – im Übrigen von neoliberalen Abgesängen auf die gesetzliche Rentenversicherung begleiteten – Prognosen nach der Jahrtausendwende nicht mit der biografisch immer später eintretenden Mutterschaft vieler Frauen gerechnet haben. Insofern verbieten sich alle drastischen Szenarien von entvölkerten Landstrichen und maroden Sozialkassen. Fest steht zurzeit nur, dass es künftig eine größere Anzahl von (pflegebedürftigen) alten Menschen ebenso geben wird wie eine größer werdende Generation der »jungen Alten«.
Was die »jungen Alten« angeht, sehen wir guten Zeiten für das bürgerschaftliche Engagement entgegen. Menschen, die nach dem Erreichen des Ruhestands noch fit und aktiv sind, bilden ein großes Potenzial für gesellschaftliches Engagement. Schon heute sind sie an vielen Orten des Engagements präsent – als Job-, Ausbildungs- oder Lesepaten, in Jugendeinrichtungen, Bibliotheken und Museen oder auch im Umwelt- und Naturschutz, um nur wenige Beispiele zu nennen. Im Sinne der Idee einer solidarischen Bürgergesellschaft können die »jungen Alten« viel Gutes bewirken und einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Sie sind dabei allerdings – wie andere Engagierte auch – auf geeignete Rahmenbedingungen angewiesen. Engagement kommt nicht von alleine, das heißt, die Bereitschaft ist zwar oft latent vorhanden, aber die Gelegenheiten
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