Baustelle Demokratie
müssen geschaffen oder gestaltet werden. Daher sind Freiwilligenagenturen und -zentren, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen, kommunale Anlaufstellen und hauptamtliche Ehrenamtsmanagerinnen und -manager wichtige Voraussetzungen auch für das bürgerschaftliche Engagement im Alter. Dazu gehört die Frage, inwiefern Unternehmen im Rahmen eines Übergangsmanagements aktiv daran mitwirken, ältere Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter für eine von den Zwängen des Berufslebens befreite »Engagementkarriere« mit vorzubereiten.
Was die steigende Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland betrifft, handelt es sich zweifellos zunächst um ein Problem der Sozialversicherung. Der vorhersehbare finanzielle Kollaps der Pflegekassen (weniger Beitragszahler, mehr Betreuungsfälle) erfordert alternative Finanzierungsmodelle. Diese »Reformbaustelle« wird von der Politik seit Jahren erfolglos bespielt, und auch hier droht das bürgerschaftliche Engagement zum Ausfallbürgen für staatliches Sozialversagen zu werden. Ehrenamtlich Engagierte dürfen nicht missbraucht werden, indem sie Bereiche der professionellen Pflege abdecken. Genau das passiert aber, wenn es nicht gelingt, den Pflegebereich finanziell zu stärken. Familiäre und professionelle Pflege und ehrenamtliche Betreuung von Pflegebedürftigen müssen in einem Ergänzungsverhältnis verstanden und organisiert werden.
Der Zusammenhang von Pflege und Engagement im demografischen Wandel kann im Sinne aller Beteiligten fruchtbar gestaltet werden, wenn Engagierte in der Pflege durch professionelle Dienste begleitet und betreut werden, wenn die medizinische Pflege den Profis vorbehalten bleibt und all das, was menschliche Wärme und solidarischen Beistand in einer schwierigen Lebensphase ausmacht, als wichtige Komplementärfunktion gefördert, gewürdigt und gesellschaftlich anerkannt wird.
Integration und Zuwanderung
Das Buch von Thilo Sarrazin mit dem Titel »Deutschland schafft sich ab« wurde mit Hilfe von Bild-BamS-Glotze zum Medienereignis des Jahres 2010 hochgeschrieben, was ihm zu einer Auflage von weit über einer Million verkaufter Exemplare verhalf. In Sarrazins Schrift findet sich eine – als Geradlinigkeit getarnte – bösartige Beschreibung und Diffamierung der Zustände in der deutschen Zuwanderungsgesellschaft. Denn das ist Deutschland heute anerkanntermaßen: eine Zuwanderungsgesellschaft mit mehr als 16 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien, was einem Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung entspricht.
In Sarrazins Augen ist dieses Fünftel der Bevölkerung mehrheitlich eine Belastung für das Gemeinwesen. Angeblich trägt es dazu bei, dass Deutschland »sich abschafft«. Seine These stützt er mit Horrorszenarien von »Integrationsverweigerern«, »Kopftuchmädchen«, volkswirtschaftlich »nutzlosen« Gemüsehändlern sowie angeblichen genetischen Differenzen zwischen Arabern / Türken (um deren Diskriminierung dreht sich die traurige Kampfschrift für ängstliche Zeitgenossen) auf der einen und Deutschen auf der anderen Seite. Ohne diese Ausflüge in einen schlecht verdauten Darwinismus hier im Einzelnen beschreiben zu wollen, ist das eigentlich Fatale an Sarrazins Buch, dass es tatsächlich einen signifikanten Beitrag zur gesellschaftlichen Des integration leistet. Es fördert nicht die konstruktive Debatte, es spricht nicht – wie gerne behauptet wird – die relevanten Probleme an. Es fördert stattdessen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und islamfeindliches Denken. Vor allem negiert es, und das ist an dieser Stelle entscheidend, den unschätzbaren Beitrag, den das bürgerschaftliche Engagement in den letzten Jahren zur Integration von Zuwanderern geleistet hat. Gerade in der Zeit, die Sarrazin in offensichtlicher Unkenntnis der Zusammenhänge beschreibt, hat sich so viel migrantisches Engagement entwickelt wie nie zuvor. Migrantenorganisationen haben die Integration von Zuwanderern durch bürgerschaftliches Engagement längst ins Zentrum ihrer Tätigkeit gerückt. Sie engagieren sich bei der schulischen und außerschulischen Bildung, bei der Freizeitgestaltung von Jugendlichen, beim für diese Gruppe besonders schwierigen Übergang von der Schule in den Beruf und vor allem bei der Überzeugungsarbeit bei Eltern, ihren Kindern die bestmögliche Integration durch Kita-Besuch, Spracherwerb und Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben der »Mehrheitsgesellschaft« zu ermöglichen.
Die Tatsache, dass Deutschland eine
Weitere Kostenlose Bücher