Baustelle Demokratie
wird, wenn Freiheit nicht mehr die Freiheit aller, sondern nur noch bestimmter Gruppen ist, dann droht sie ihre Anziehungskraft mehr und mehr zu verlieren. Sie verliert den Charakter des Egalitären, der auf alle Nichtprivilegierten eine große Anziehungskraft ausübt, da er mit der Vorstellung von sozialem Fortschritt, sozialer Gerechtigkeit und sozialem Aufstieg verbunden ist.
Auswirkungen auf die Bürgergesellschaft
Die Symptome einer drohenden postdemokratischen Phase (vgl. ebd., 32f.) hinterlassen ihre Wirkung in der Szenerie der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements. Der Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungsleistungen und die Umdefinition des Wohlfahrtszwecks von sozialer Teilhabe zur Hilfe für Bedürftige, die Umprogrammierung des Steuersystems vom Umverteilungsmechanismus zur angebotsorientierten Wirtschaftslenkung, die »Belagerung« der Politik durch massive Lobbytätigkeiten im Interesse der ökonomischen Elite, ein verselbstständigter und hoch selektiver öffentlicher Diskurs und eine grassierende politische Apathie der »Überflüssigen« (Bude / Willisch 2006) und Benachteiligten, die sich im etablierten System der Demokratie nicht mehr repräsentiert fühlen, wirken wie Bremsklötze für die Dynamik des Engagements. Denn das Charakteristische an den hier skizzierten Entwicklungen ist, dass sie nicht Solidarität, sondern Vereinzelung hervorrufen. Die Phänomene von sozialer Spaltung der Gesellschaft und Krise der Demokratie rufen nicht eine Welle der Solidarität hervor, sondern fördern im Gegenteil eine Mentalität des Strebens nach dem je eigenen Vorteil. Die Verhältnisse haben eine isolierende Wirkung. Aus der sozialen Lage lassen sich – wie noch zu Beginn der Industrialisierung – keine »Klasseninteressen« mehr herleiten, weil die Benachteiligten vereinzelt im sozialen Raum verteilt sind (vgl. Bourdieu 1985). Und aus der Krise der Demokratie folgt nicht etwa ein kollektiver »Marsch in die Parteien« oder eine andere kollektive Aktion, sondern eine Fragmentierung des politischen Interesses in tausende unterschiedliche Foren und Themen.
Bürgerschaftliches Engagement ist wie kaum eine andere gesellschaftliche Sphäre auf das Grundvertrauen in das demokratische Gemeinwesen angewiesen. Wer sich für das Gemeinwohl engagiert, muss ja irgendwie anerkennen, dass es überhaupt so etwas wie ein Gemeinwesen gibt. Die Menschen, die die Werbespots der Postbank bevölkern, brauchen keinen Sinn fürs Gemeinwohl. Für sie zählt nur der eigene Vorteil. Damit sind sie Teil des großen Spiels der Ökonomisierung der Gesellschaft, das den Einzelnen dazu verleitet, einem hemmungslosen Besitzindividualismus zu verfallen. Gemeinwohlorientierung bedeutet dagegen, an das Soziale als Kategorie der Demokratie und an die Demokratie als Lebensform des Sozialen zu glauben. Andernfalls wäre jegliches Engagement sinnlos. Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Entwicklung der sozialen und politischen Lage demotivierend und engagementfeindlich. Dass sich dennoch so viele Menschen in Deutschland bürgerschaftlich engagieren, deutet darauf hin, dass Engagierte eben doch nicht bereit sind, die Dinge einfach hinzunehmen. Ihr Engagement steht für die Erneuerungsfähigkeit der modernen Gesellschaft. Und ihr Engagement ist auch die einzige Chance für das demokratische Gemeinwesen, wieder auf die Beine zu kommen. Das politische System ist in seinen systembedingten Verhärtungen so festgefahren, dass es sich aus eigener Kraft nicht aus seiner schwierigen Lage zu befreien vermag. Die Konsequenzen des Versuchs, das System mit Hilfe betriebswirtschaftlicher Parameter zu reformieren, haben wir in den letzten Jahren erlebt. Ganz offensichtlich sind ökonomische Berater in politischen Prozessen schlechte Berater. Folglich bleibt als Impulsgeber für demokratische Erneuerung nur die Bürgergesellschaft. Soll sie nicht zum »Ausfallbürgen« in der Krise der sozialen Demokratie werden, muss man sie stärken, um ihre Innovationskraft und Experimentierlust zu fördern.
Verwaltung auf Pump
Ein eher unspektakuläres, aber darum nicht weniger problematisches Hindernis für die Entfaltung des bürgerschaftlichen Engagements besteht in der finanziellen Not der Kommunen in Deutschland. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland stehen heute kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Im Jahr 2010 belief sich die Verschuldung der Kommunen (inklusive Bürgschaften) in den Flächenländern auf 161,7 Milliarden Euro.
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