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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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Vor 20 Jahren lag diese Zahl bei »nur« rund 90 Milliarden Euro (vgl.www.haushaltssteuerung.de). Die finanzielle Notlage der Kommunen ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während Bayern und Baden-Württemberg vergleichsweise gut dastehen, geht es den Kommunen in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz viel schlechter. Viele Städte und Gemeinden können sich nur noch durch sogenannte Kassenkredite über Wasser halten. Kassenkredite funktionieren wie der Dispo-Kredit beim privaten Girokonto. Man leiht sich kurzfristig Geld zu hohen Zinsen. Das tun Kommunen immer gegen Jahresende, wenn das Budget erschöpft ist. Bedrückend daran ist, dass Kassenkredite nicht etwa für »Luxus«, sondern für gesetzlich vorgeschriebene Ausgaben verwendet werden. Die Gehälter der Angestellten und Beamten der Stadtverwaltung oder auch gesetzliche Pflichtausgaben, etwa für Sozialhilfe, werden dann tatsächlich auf Pump bezahlt. Das ist für die Zahlungsempfänger zwar besser als nichts, für die kommunale Finanzverfassung ist es hingegen der Weg in eine Abwärtsspirale, aus der es kaum ein Entrinnen gibt, solange strukturelle Haushaltsdefizite nicht überwunden werden.
    Und genau hier sind die politisch Verantwortlichen in Städten, Gemeinden und Landkreisen in der Zwickmühle. Sie sind gezwungen, sogenannte freiwillige Leistungen zu streichen oder zu reduzieren. Das betrifft genau diejenigen Einrichtungen, die für ein funktionierendes kommunales Gemeinwesen unabdingbar sind. Stadttheater, Jugendtreffs, Spielplätze, Bibliotheken, Nachbarschaftstreffs und öffentliche Grünanlagen: Die Liste sinnvoller kommunaler Einrichtungen, die unter der Finanznot der Städte und Gemeinden leiden, ist lang und traurig. Die Bürgermeister, Kämmerer und Ratsversammlungen sind gewissermaßen genötigt, Strukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu vernachlässigen. Sehenden Auges müssen sie die Folgen eines schier unmöglichen Konsolidierungskurses in Kauf nehmen. Wer durch deutsche Städte geht, kann die Verwahrlosung des öffentlichen Raums vielerorts mit Händen greifen. Vor allem die fehlenden Investitionen in die Weiterentwicklung der kommunalen Infrastruktur springen sofort ins Auge. Unwirtliche Großkreuzungen aus den Zeiten der »autogerechten Stadt«, öde Verwaltungsgebäude, bröckelnde Schulhäuser, dreckige Kinderspielplätze, vergammelte Parks mit verwaisten Sitzbänken und andere einschlägige Phänomene entstammen leider nicht dem Szenario düsterer Zukunftsvisionen, sondern sind in vielen Städten und Gemeinden in Deutschland schmerzhafte Realität.
    Die Ursachen für die Schuldenkrise liegt nicht etwa darin, dass Kommunen über ihre Verhältnisse leben würden. Gut, auch das mag es geben. Aber in den meisten Fällen ist das Problem nicht hausgemacht, sondern durch politische Entscheidungen an anderer Stelle verursacht. In den letzten 15 Jahren gab es zahlreiche Steuersenkungen für Vermögende und Unternehmen, die als Einnahmeausfälle vor allem die Kommunen belasteten. Auch dies ist eine Folge des neoliberalen Dogmas, dem zufolge alles, was für Unternehmer und Unternehmen gut ist, auch dem Gemeinwesen nützt.
    Freilich griffen die Kommunen ihrerseits bis vor wenigen Jahren noch herzhaft in den marktradikalen Instrumentenkoffer und verschärften (oft in bester Absicht) durch die Privatisierung öffentlicher Betriebe, durch den Verkauf von Grundstücken und kommunalen Liegenschaften (das berühmte »Tafelsilber«) und fragwürdige Instrumente wie »Cross-Border-Leasing« und »Public Private Partnership« ihre Lage erheblich. Davon abgesehen betrifft nun die anhaltende kommunale Finanzkrise auch das bürgerschaftliche Engagement vor Ort. Das demokratische Gemeinwesen lebt auch oder gerade in der Kommune von einer lebenswerten Umgebung. Wenn der öffentliche Raum verwahrlost, haben es zivile Tugenden schwer. Das beginnt bei der Frage, ob man seinen Müll im Stadtpark achtlos zu Boden wirft, und reicht bis zum Fehlen von Treffpunkten oder sinnvollem Zeitvertreib und damit auch Perspektiven für Kinder und Jugendliche. Der Zustand des öffentlichen Raums hängt direkt zusammen mit der »Atmosphäre« im demokratischen Gemeinwesen und damit auch mit der Neigung, sich für dieses Gemeinwesen zu engagieren.
    Zudem ist die kommunale Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement von der hartnäckigen und dauerhaften Finanzkrise direkt betroffen. Freiwilligenagenturen, Nachbarschaftsheime,

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