Baustelle Demokratie
Beispiel für die Ersetzung staatlichen Handelns durch bürgerschaftliches Engagement. Durch das Fernsehmagazin Panorama wurde im Jahr 2010 der weit verbreitete Missbrauch der »Übungsleiterpauschale« in Kombination mit dem »Mini-Job« bekannt (vgl. ARD 2010). Mittels der Übungsleiterpauschale können zum Beispiel Sporttrainer von ihrem Verein bis zu 2100 Euro pro Jahr als steuerfreie Aufwandspauschale erhalten. Dieses engagementpolitische Instrument wird nun durch Trägerorganisationen der freien Wohlfahrtspflege ausgenutzt, indem es mit dem 400-Euro-Job kombiniert wird, um in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Pflege Niedriglohnverhältnisse unter der Flagge des bürgerschaftlichen Engagements zu schaffen. Die »Engagierten«, die in Wirklichkeit Billiglöhner sind, erhalten für ihre Arbeit 575 Euro pro Monat (400-Euro-Pauschale + anteilig 175 Euro Übungsleiterpauschale) und leisten weisungsgebunden dieselbe Arbeit wie professionelle Kräfte. Natürlich müssen sich die solchermaßen verfahrenden Organisationen zu Recht kritisieren lassen, doch ist ihr – legales – Handeln letztlich Ausdruck einer bestimmten Idee von Bürgergesellschaft, die sich allmählich durchzusetzen beginnt. In dieser Vorstellung ist alles gut, was sich quantifizieren und damit kommodifizieren und in die Kategorie »Dienstleistung« einordnen lässt.
Auch auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik gibt es Beispiele für die Indienstnahme des Engagements für staatliche Zwecke. So zielt etwa das Konzept der »Bürgerarbeit«, das die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Federführung des Arbeitsministeriums im Juli 2010 umzusetzen begonnen hat, auf eine Verquickung von Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftlichem Engagement. Nicht, dass es hier nicht sinnvolle Verbindungen geben könnte. Doch ist der von der Bundesregierung gewählte Ansatz problematisch, weil hier – wie schon beim Pflegebeispiel – auf dem Feld der gemeinnützigen Tätigkeiten ein Niedriglohnsektor aufgemacht wird. Bürgerarbeit bedeutet, wenn man die umfangreiche euphemistische Politprosa der Regierung abzieht, dass »langzeitarbeitslose« Hartz-IV-Empfänger zu einer Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse herangezogen werden können. Wie die »Ein-Euro-Jobber« haben auch sie nicht die Möglichkeit abzulehnen. Die im Zusammenhang mit der Bürgerarbeit möglichen Tätigkeiten müssen gemeinnützig sein und dürfen reguläre Arbeitsverhältnisse nicht verdrängen. Beispiele sind: Begleitservice für ältere Menschen und Behinderte, etwa bei Behördengängen oder Arztbesuchen, Energiesparberatung für Bedürftige, Unterstützung von Übungsleitern im Breitensport, Kochen und Essensausgabe bei Mittagstischen für Bedürftige, Pflege von Grünanlagen und Naturlehrpfaden.
Das sind klassische Tätigkeiten des bürgerschaftlichen Engagements, die hier zu (schlecht bezahlten) Arbeitsverhältnissen umgemodelt werden. Abgesehen davon, dass die Kriterien der Bürgerarbeit, die gemeinnützig sein soll und keine reguläre Arbeit verdrängen darf , butterweich und zweifelhaft sind, kommt es hier auf jeden Fall zu einer Vereinnahmung des bürgerschaftlichen Engagements und des mit ihm verbundenen Eigensinns. Denn ob der Platzwart im Fußballverein sonntagmorgens ehrenamtlich die Umkleide aufschließt und die Bälle rausholt oder ob er das als Niedriglohn-Job macht – das bedeutet einen Unterschied ums Ganze und unterminiert die integrative und gemeinwesenstiftende Dimension des Engagements nicht nur auf dem Fußballplatz.
Auch die »Langzeitarbeitslosen« selbst, die zum bezahlten Engagement »aktiviert« werden, dürfen sich aus dieser Tätigkeit nicht viel erhoffen. Sie erwerben während ihrer Bürgerarbeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, sondern bleiben Anspruchsberechtigte nach SGB II (»Hartz IV«) mitsamt den dort vorgesehenen Sanktionsmechanismen im Falle unerwünschten Verhaltens. Das heißt, sie müssen sich auch während ihrer »Bürgerarbeit« weiterhin ständig um reguläre Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt bewerben und sind derselben Sanktionsgewalt unterworfen wie ohne »Bürgerarbeit«. Ob sich daher durch diese repressionsbewehrte Form der Aktivierung Motivation und Selbstbewusstsein von Erwerbslosen fördern lassen, darf bezweifelt werden. »Man hat es über die Bürgerarbeit geschafft, aus mündigen Bürgern unmündige zu machen, sie stehen ab nun den Kommunen zur Verfügung, ob sie wollen oder nicht«, resümiert daher folgerichtig ein trauriger
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