Baustelle Demokratie
Chancengleichheit im Bildungssystem die soziale Herkunft von Kindern nicht mehr ausschlaggebend für individuellen Erfolg ist, in dem durch ein kollektives Bewusstsein für die ökologischen Probleme tatsächlich ein Weg zu nachhaltigem Wirtschaften eingeschlagen wird, in dem öffentliche Güter wie Transport, Strom, Wasser und Verwaltung für alle zu fairen Konditionen zugänglich sind, in dem Krankenversorgung nicht an sozialen Status und materiellen Besitz gekoppelt ist. Öffentliche Freiheit ist die Voraussetzung für private Freiheit; und das bedeutet auch für die Freiheit zum Engagement.
Damit ist die Frage nach den Motivationen für gesellschaftliches Engagement berührt. Warum engagieren sich Menschen freiwillig für das Gemeinwesen? Sie tun es, weil es ein grundlegendes Bedürfnis gibt, an der Gestaltung des Gemeinwesens und damit an der öffentlichen Freiheit mitzuwirken und die freiheitliche Gesellschaft mit zu formen. Ja, mehr noch: Freiheit erhält überhaupt erst einen tieferen Sinn, wenn sie aktiv durch tätiges Handeln definiert wird. Der Mensch selbst wird erst, indem er im Gemeinwesen politisch handelt, zum freien Wesen, das sich von den Zwängen der Lebenssicherung und der »bloßen Existenz« befreit (vgl. Arendt 1958). Private Freiheit findet – wenn sie nicht parasitär sein will – ihren Daseinsgrund in dem Streben nach öffentlicher Freiheit. Öffentliche Freiheit kann es nur geben, wenn Menschen ihre private Freiheit in ihr verwirklicht sehen wollen. Insofern ist das bürgerschaftliche Engagement der Gegenentwurf par excellence zum öden Diktat des »Unterm Strich zähl ich!«. Während dieses einen dumpfen und heute bedrohlich weit verbreiteten Besitzindividualismus PR-gerecht zum Ausdruck bringt, verkörpert jenes eine sinngebende Verbindung von privater und öffentlicher Freiheit.
Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei in den letzten Jahren prominent gewordene Konzepte von Bürgergesellschaft aus der Vielfalt der Erscheinungen ableiten. Das liberale Konzept bevorzugt einen Rückzug des Staates zugunsten der Bürgergesellschaft und räumt der individuellen Freiheit des Einzelnen einen hohen Rang ein. Dagegen steht das Konzept einer solidarischen Bürgergesellschaft, bei dem die Vorstellung von öffentlicher Freiheit als Kernelement für eine moderne Demokratie leitend ist (vgl. zum Folgenden Embacher/Lang 2008, 94ff.).
Liberale Bürgergesellschaft
Die Idee der liberalen Bürgergesellschaft steht in der Traditionslinie des politischen und ökonomischen Liberalismus (vgl. u.a. Westerwelle 1997, Schäuble 1995, Hamm-Brücher 1999, Papier 2004). Allen Varianten ist eine mehr oder weniger skeptische Haltung gegenüber dem Sozialstaat sowie die Betonung von Eigenverantwortung und Bürgerpflichten eigen. Staatliche Eingriffe in die Gesellschaft sind dieser Haltung zufolge möglichst zu vermeiden.
Dieser Hintergrund schwingt bei den meisten liberalen Vertretern im Bestreben mit, der Bürgergesellschaft ein größeres Gewicht gegenüber dem Staat zu verschaffen. Ein anderer Hintergrund ergibt sich aus der Kritik des Wohlfahrtsstaates. Der Wohlfahrtsstaat, so der immer gleiche Tenor, führe zu einem Verlust an Freiheit und damit auch an Engagement. Die sozialstaatlichen Eingriffe in das gesellschaftliche Geschehen hätten ungeachtet ihrer historischen Berechtigung heute mehr und mehr dysfunktionale Nebeneffekte; sie förderten nicht, sondern behinderten die Entfaltung von Freiheit und Eigeninitiative.
Der Wohlfahrtsstaat habe sich von seiner eigenen Idee, nämlich der solidarischen Unterstützung von sozial Schwachen, so weit entfernt, dass von dieser Grundidee der Hilfe in Notsituationen nicht mehr viel übrig geblieben sei. Eine Überforderung des Staates gehe mit einer Unterforderung des einzelnen Bürgers einher, der es verlernt habe, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen und sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die sozialen Sicherungssysteme befänden sich daher in einem Stadium des Niedergangs: Die Kosten stiegen immer weiter, die Erwartungen an soziale Sicherheit würden dauerhaft enttäuscht, eine Vertrauens- und Legitimitätskrise seien die »logischen« Folgen dieser Entwicklung. Die traditionelle Wohlfahrtspolitik stehe diesen Entwicklungen weitgehend tatenlos gegenüber beziehungsweise bringe nicht die Kraft für ein adäquates Gegensteuern auf.
Verwirklichung größtmöglicher individueller Freiheit: So lautet in diesem Szenario das erklärte Ziel. In der liberalen
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