Baustelle Demokratie
Blogger (AeiD 2010).
Für die Umdefinition des bürgerschaftlichen Engagements zum Dienstleister für den Staat lassen sich noch viele weitere Beispiele finden, sei es – wie gesagt – in der freien Wohlfahrtspflege, wo Ehrenamtliche oft genug die Arbeit von hauptamtlich Beschäftigten übernehmen, sei es in der Tafelbewegung, die – bei aller Anerkennung! – mit der Versorgung von sozial Bedürftigen mit Lebensmitteln eine Leistung der öffentlichen Daseinsvorsorge übernommen hat, sei es im neu geschaffenen Bundesfreiwilligendienst, wo mit Hilfe von Freiwilligentätigkeit der durch die Aussetzung des Zivildienstes bedingte Ausfall von tausenden Arbeitskräften vor allem im sozialen Bereich kompensiert werden soll.
Beim Bundesfreiwilligendienst wird die Entwicklung noch dadurch vorangetrieben, dass die Bundesregierung mit dem »Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben« eine eigene Behörde kreiert hat, um das Engagement als Dienstleister zu steuern und zu kontrollieren. Ähnlich verhält es sich mit der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) geschaffenen »Servicestelle Kommunen in der Einen Welt«, in der die bürgerschaftlichen Aktivitäten in der Entwicklungszusammenarbeit gebündelt und koordiniert werden sollen. Damit greift der Staat mehr oder weniger direkt auf das Engagement zu und steuert über Projektgelder und Reglements bürgergesellschaftliche Akteure als Dienstleister. Von der Autonomie und dem Eigensinn bürgerschaftlichen Engagements bleibt unter diesen Vorzeichen nicht mehr viel übrig. Aus der Sicht der Engagierten und ihrer Organisationen geht es um Fördergelder für Projekte, auf die man dringend angewiesen ist. Aus der Sicht des Staates und seiner Ministerialbürokratie lässt sich durch die gezielte Indienstnahme bürgerschaftlicher Aktivitäten die Kreativität und Leistungsfähigkeit des Engagements nutzen, ohne gleichzeitig auf die demokratischen Mitwirkungsansprüche der zivilgesellschaftlichen Akteure eingehen zu müssen.
Diese Entwicklung schadet der Bürgergesellschaft und langfristig auch den ethisch-moralischen Impulsen, aus denen bürgerschaftliches Engagement entsteht. Nicht umsonst hat die Enquete-Kommission des Bundestages das Engagement als im Wesentlichen freiwillig, unentgeltlich, gemeinwohlorientiert und öffentlich wirksam charakterisiert. Nur unter allen diesen Voraussetzungen kann es seinen Beitrag zur Vitalisierung der Demokratie leisten.
Liberal versus solidarisch
Für Politik und Verwaltung besteht – wie die Beispiele gezeigt haben – eine große Versuchung darin, das Engagement zu funktionalisieren und so »aufzustellen«, dass der Staat sich zurückziehen darf, wenn die Bürgergesellschaft ihm seine Aufgaben mehr und mehr abnimmt. Engagierte sind »preiswert« und motiviert und machen es möglich, Jugendklubs, Hospize, Kranken- und Altenpflege, aber auch Grünanlagen, Bibliotheken und Kleiderkammern unter dem Druck knapper öffentlicher Kassen »günstig« zu betreiben. Der Staat verwandelt sich nach und nach in einen Zuschauer, der die Erledigung seiner eigenen Aufgaben nur noch »gewährleistet«; die Standards für gute Arbeit zu guten Bedingungen sind auf diese Weise immer schwerer einzuhalten.
Doch wie lautete ein sinnvoller Gegenstandpunkt zu der um sich greifenden Verzweckung des Engagements in den Zeiten eines sich selbst depotenzierenden Sozialstaates? Diese Frage lässt sich nur im Zusammenhang mit einem reflektierten Staatsverständnis beantworten. Denn wie wir die Bürgergesellschaft definieren und inwiefern wir sie als wichtiges Funktionselement eines intakten demokratischen Gemeinwesens verstehen, hängt mit unserem Bild vom Staat selbst zusammen. Und dieser Zusammenhang bleibt in der tagespolitischen Debatte fast immer ausgeblendet.
Damit sind auch zwei Vorstellungen von Freiheit verbunden, die sich wiederum aufeinander beziehen und voneinander abhängen: die private und die öffentliche Freiheit. Die private Freiheit von Menschen ist nur sinnvoll im Kontext der öffentlichen Freiheit, wie sie in einer lebendigen Bürgergesellschaft zum Ausdruck gelangt oder gelangen kann. Öffentliche Freiheit herrscht in einem Gemeinwesen vor, in dem die sozialen Bürgerrechte auch tatsächlich für alle Menschen konkrete und gelebte Wirklichkeit sind – in dem durch behindertengerechten Umbau der Städte auch Menschen mit Behinderungen volle Teilhabechancen genießen, in dem durch tatsächliche
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