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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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des Engagements in der Engagementstrategie nicht aufgegriffen wurden, wurde bis heute nicht erklärt. Die Regierung versucht stattdessen den Eindruck zu erwecken, als sei die naive Erwartungshaltung der zivilgesellschaftlichen Akteure für die Enttäuschung verantwortlich, der »Frust« also mithin hausgemacht. Abgesehen von der unterstellten Blauäugigkeit der Zivilgesellschaft wird an solchen Äußerungen deutlich, dass an einem konstruktiven Dialog letztlich kein Interesse besteht.
    Doch was berechtigt eigentlich zu einer derartigen Kritik am Regierungshandeln? Handelt es sich dabei nicht um idealistische Zuschreibungen, mithin um bloßes Wunschdenken, wie auch das BMFSFJ in seinen zahlreichen Rechtfertigungen nicht müde wird zu betonen? Nein! Eine normative Rekonstruktion der gegenwärtigen Lage fördert zu Tage, dass nicht ein überschäumender Idealismus, sondern das fehlende Ausschöpfen konkret vorhandener Möglichkeiten die Kritik antreibt. Es geht nicht darum, abstrakte Kriterien für eine demokratiepolitisch relevante Engagementpolitik zu formulieren, die dann erfahrungsgemäß am normativ entleerten »Pragmatismus« in Politik und Verwaltung abprallen oder gar abprallen müssen. Vielmehr wird die Kritik der aktuellen Engagementpolitik des Bundes aus denjenigen Werten und Leitideen entwickelt, die den bestehenden Formen des Engagements und der Engagementpolitik bereits heute innewohnen (zum Verfahren der normativen Rekonstruktion vgl. Honneth 2011). Die Kritik erwächst also allein aus dem, was sich ohne utopischen Rückgriff auf idealisierte Prinzipien in der politischen Wirklichkeit heute bereits abzeichnet, aber aus machtstrategischen oder sonstigen Gründen (fehlendes Knowhow, fehlender politischer Wille, falsches Politik-Management) nicht aufgegriffen wird. Es geht nicht darum, einer als »falsch« identifizierten engagementpolitischen Realität das Wunschbild eines idealistischen (und abstrakten) Sollens entgegenzuhalten, sondern Engagementpolitik an den von ihr selbst hervorgebrachten Potenzialen zu messen.
    Um diese Potenziale auf einen Nenner zu bringen, soll hier noch einmal die Idee einer solidarischen Bürgergesellschaft aufgegriffen werden. Diese Idee ging von der Prämisse aus, dass Bürgergesellschaft und staatliches Handeln zusammengehören und einander ergänzen und das bürgerschaftliche Engagement einen autonomen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration leistet. Die aktive Bürgergesellschaft ist für den demokratischen Staat lebensnotwendig, denn aus ihren Handlungszusammenhängen kommen die Impulse, die staatliche Politik anregen und gegebenenfalls korrigieren sollen. Umgekehrt ist sie auf einen aktiven und Rahmenbedingungen setzenden Staat angewiesen, der alle Bereiche der öffentlichen und sozialen Daseinsfürsorge abdeckt und nicht der Versuchung unterliegt, je nach Kassenlage oder politischen Präferenzen im bürgerschaftlichen Engagement oder der organisierten Zivilgesellschaft einen Ausfallbürgen für das eigene Unterlassen zu suchen.
    Das Komplementärverhältnis von Staat und Bürgergesellschaft, wie es in der Idee einer solidarischen Bürgergesellschaft zum Ausdruck gelangt, ist heute in vielen Bereichen faktisch schon sehr weit entwickelt, so dass es eine den aktuellen Verhältnissen inhärente Forderung an Engagementpolitik ist, dieses komplementäre Verhältnis auszubauen und im Sinne zivilgesellschaftlicher Autonomie zu fördern. Allein die Entwicklung der Schule – um nur ein Beispiel zu nennen – und ihre Wandlung von einer öffentlichen »Anstalt« zu einer gesellschaftlichen Institution zeigt, was damit gemeint ist. In vielen Bundesländern sind Schulen schon längst keine Einrichtungen mehr, in die man morgens seine Kinder schickt, um sie dann mittags wieder abzuholen. Die staatliche Organisation der Schule hat sich mittlerweile so gewandelt, dass das soziale Umfeld, also Eltern, lokale Kultureinrichtungen, Vorleseinitiativen, Mentoringprogramme, Orte der außerschulischen Betreuung, Unternehmen, Stiftungen, Eltern- und Fördervereine, die örtliche Polizei (Stichwort: Verkehrserziehung) nahezu selbstverständlich in den Kontext der Schule eingebunden ist. Die »lokalen Bildungslandschaften«, von denen so häufig in der Fachwelt die Rede ist, sind längst im Entstehen.
    Diese Entwicklung kann letztlich nur zu besserer Bildung und einer besseren Förderung des politischen Selbstbewusstseins von Bürgerinnen und Bürgern beitragen, wenn das Verhältnis von

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