Baustelle Demokratie
Staat und Gesellschaft als ein Ergänzungsverhältnis verstanden wird. Der Staat leistet das, was im Rahmen seiner Pflicht zur Daseinsvorsorge nötig ist: intakte Schulgebäude und Sportanlagen, ausreichend qualifizierte Lehrkräfte in ausreichender Anzahl, klare pädagogische und organisatorische Rahmenbedingungen. Darauf aufbauend können bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Organisationen das Feld Schule »durchdringen« und dort all die Dinge leisten, die staatlich nicht »hergestellt« werden können: besondere Förderung, ein intaktes soziales Umfeld oder Übergänge in Ausbildung und Beruf.
Zu diesem Beispiel gehört, dass die Art und Weise, wie genau staatliches und bürgergesellschaftliches Handeln ineinandergreifen, nicht von vornherein oder gar »von oben« definiert werden kann, sondern dass dies Teil eines jeweils spezifisch ausgehandelten lokalen »Gesellschaftsvertrags« zwischen den beteiligten Akteuren ist. An diesem Punkt zeigt sich einmal mehr die demokratiepolitisch relevante Seite von Engagementpolitik, die zum einen nur unter Beteiligung aller Betroffenen und Beteiligten entwickelt werden kann und die zum anderen ein neues Selbstverständnis des Staates, eine Selbstaktivierung erfordert.
Mit Hilfe dieser exemplarischen Beschreibung lassen sich die Defizite der aktuellen Engagementpolitik klar benennen. Die den Institutionen des demokratischen Rechtsstaates innewohnenden Prinzipien Transparenz, Offenheit und Responsivität – Prinzipien, die auch die Funktionslogik des bürgerschaftlichen Engagements gut umreißen – können unter den aktuellen Voraussetzungen einer auf Informationsabschottung, Exklusivität und Diskurskontrolle ausgerichteten »Strategie« der staatlichen Akteure nicht zum Tragen kommen. An diesem Umstand muss jeder Versuch einer »nationalen Engagementstrategie« scheitern, wäre doch eine strategische Ausrichtung von Engagementpolitik unter demokratiepolitischen Vorzeichen gekennzeichnet von einem Ziel (gesellschaftliche Integration durch Engagement), einem Kurs dorthin (innovative und offene Beratungsformate zur kooperativen Entwicklung von Engagementpolitik) und konkreten Schritten (Zeitperspektive, klare Zwischenziele, Evaluation).
Engagementpolitik wäre auf diese Weise ein relevanter Beitrag zur weitergehenden Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. Von ihr ginge die Forderung nach Demokratisierung und gesellschaftlicher Öffnung der staatlichen Verwaltung aus (Bürokratieabbau, Verbesserung der Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement, Beteiligungsorientierung staatlicher Institutionen). Beim Verhältnis von Staat und Bürgergesellschaft geht es vor allem um eine Offenheit staatlicher Institutionen für bürgerschaftliches Engagement. Es geht um das Wie des staatlichen Handelns. Trägt es zu einem emanzipatorisch ausgerichteten Fortgang des demokratischen Prozesses bei? Oder bringt es eher eine Verhärtung administrativer Strukturen und intransparenter Entscheidungsprozesse zum Ausdruck? Nicht die bürgerschaftlich Engagierten müssen der Eigenlogik der Verwaltung folgen, sondern die staatlichen Akteure sollten ihre Entscheidungsprozesse verständlich und transparent gestalten.
Die am engagementpolitischen Prozess beteiligten Akteure müssen sich dauerhaft darauf einstellen, neue Kooperationsverhältnisse einzugehen und tatsächlich – das heißt nicht nur rhetorisch oder verbal – an einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung zu arbeiten. Diese Forderung berührt vor allem die Stellung des Staates beziehungsweise der verfassten Politik zu einer heute immer selbstbewusster gewordenen Bürgergesellschaft.
III. WERDEN – Perspektiven für die Demokratie
Wir leben in einer Welt der Paradoxien. Die Gleichzeitigkeit von extremem Reichtum und menschenunwürdiger Armut wird begleitet von einem Stillstand der sozialen Demokratie, die nur noch mehr schlecht als recht für Gerechtigkeit zu sorgen vermag. Das »Zusammenwachsen« der Menschheit durch Globalisierung und Migration führt nicht zur Überwindung des kleinteiligen Denkens in Nationen und zu einer freien multikulturellen Gesellschaft, sondern entblößt unaufhörlich den üblen Geist der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und des Rechtspopulismus. Die elektronische Revolution der Kommunikationsmedien sorgt bislang nicht für mehr Aufklärung, denn auch die neuen elektronischen Medien werden im Dienste von Marketing auf der einen und politischer Herrschaft auf
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