Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
HeU’ur bedeutete ihnen, sie sollten eintreten. Marais zögerte nicht und ging zielstrebig weiter.
Sergeis erster Eindruck des Gartens war der eines gigantischen Vogel- oder Gewächshauses. Eine Decke war nicht zu erkennen, womöglich gab es sie auch gar nicht. Stattdessen hing der vertraute kobaltblaue Himmel über diesem ordentlich arrangierten Regenwald. Die Zor-Eskorte folgte ihnen nicht in den Garten, woraufhin die Gruppe auf einer kleinen Lichtung abwartend stehen blieb.
Sergei, der sich in seiner Galauniform unbehaglich fühlte, bemerkte plötzlich eine Pflanze, die ihn an eine Sonnenblume erinnerte und die sich nach ihm auszustrecken begann und an seinem Uniformärmel schnupperte. Als erfahrener Commander wusste Sergei, dass es im Universum eine Fülle von Lebensformen gab, von denen die meisten den Menschen Schaden zufügen konnten.
Er versuchte, auf Abstand zu der Pflanze zu gehen, die inzwischen ein besonderes Interesse an der Uniformmütze entwickelt hatte, die er unter dem Arm geklemmt hielt. Eine Reihe spitzer Zähne war aus dem Staubblatt der Blume hervorgetreten und zerrte nun am Rand der Mütze, um sie Sergei zu entreißen.
Mit der rechten Hand griff er bereits nach seiner Waffe, doch bevor er weiter etwas unternehmen konnte, rief ein Zor: »Sr’can’u!« Sofort ließ die Pflanze los, zog sich schnell zurück und wackelte auf ihrem Stängel hin und her.
Einen Augenblick später tauchte ein hagerer Zor auf dem gewundenen Weg vor ihnen auf und ging auf die Pflanze zu. Zärtlich strich er über den Stiel, griff in eine Tasche seines cremefarbenen Gewands und holte ein paar rötliche Beeren heraus, die er eine nach der anderen an die Pflanze verfütterte. Dabei redete er in der Hochsprache leise auf das Gewächs ein.
Schließlich drehte er sich zu den erschrockenen Menschen um und verbeugte sich leicht. »Guten Tag«, sagte er. »Sie sind Admiral Marais.«
Der Admiral nickte. »Ja, Sir.«
»Es ist mir eine Freude, Sie endlich auf Zor’a begrüßen zu können, Admiral. Ich bin Sse’e HeYen, der Hohe Lord.«
Mit seinen Krallen strich er über die Pflanze. »Ich entschuldige mich für das, was Ihrer Mütze zugestoßen ist«, sagte er zu Sergei. »Sr’can’u ist sehr neugierig und Fremden gegenüber sehr unhöflich.«
»Es ist ja nichts passiert, Sir«, erwiderte Sergei und betrachtete die Zahnabdrücke, die die Pflanze in einer seiner besten Uniformmützen hinterlassen hatte. »Entschuldigen Sie, aber ist Sr’can’u eine Art Haustier?«
»Ich glaube, ich verstehe nicht, was Sie damit meinen. Er ist ein intelligentes Wesen, ein Symbiont … ein Wächter in diesem Garten. Er ist recht freundlich, wenn man ihm klar macht, was er darf und was nicht.« Seine Flügel veränderten ein wenig ihre Position, er sprach zwei weitere Worte zu der Pflanze, erst dann ließ er ihren Stiel los.
»Lassen Sie mich Ihnen eine Erfrischung anbieten«, sagte er und führte die Gruppe durch den Garten zu einer größeren Lichtung mit flachen Hockern und Sitzstangen. Auf einem kleinen Tisch standen Metallbecher und ein Krug.
Die Menschen nahmen auf den Hockern Platz, Rrith blieb in ihrer Nähe stehen, während der Hohe Lord h’geRu einschenkte, jenen Likör, der der Gruppe schon zuvor angeboten worden war.
»Bitte, Cousin«, sagte der Hohe Lord zu Rrith, während er die Flügel ein wenig anhob, und deutete auf eine freie Sitzstange. »Schließen Sie sich unseren Gefährten an, um anzustoßen auf … Was soll es sein, Lord?«
»Das überlasse ich gern Ihnen, hi Sse’e«, antwortete Marais. »Aber es sollte ein Hoch auf Lord esLi enthalten.«
»Dann auf esLh«, erklärte Sse’e und hielt Rrith einen Becher hin. »esLiHeYar.«
Langsam tranken sie den Likör. »Ich selbst bevorzuge egeneh«, sagte Sse’e schließlich. »Es ist so etwas wie ein … erlesener Geschmack? Sie haben viel erreicht, Admiral. Ich hoffe, es hat Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet, hierher ins Hohe Nest zu kommen.«
»Ganz im Gegenteil, Lord, es ist ein Privileg und eine Ehre.«
»Beides gilt erst recht für mich, Admiral. In der kurzen Zeit, in der Sie gegen das Volk Krieg geführt haben, hat sich die Einstellung von Feindseligkeit zu Bewunderung gewandelt, und nun stehen wir mit verbundenen Flügeln auf einem Vorsprung und warten darauf, dass die Acht Winde uns in den Abgrund wehen.«
Einen Moment lang hielt er inne. »Ihnen ist sicherlich bekannt, dass das Volk lange vor Ihnen das All bereiste, auch wenn wir erst vor recht
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