Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
dafür, dass der Admiral die alte Strategie vollständig über Bord geworfen hatte, dass dieser Krieg nun anders geführt würde. Den Zensoren entging natürlich nicht, dass eine komplette zivile Einrichtung vernichtet worden war. Pflichtbewusst entfernten sie jeden Hinweis darauf, ganz gleich ob es sich um Briefe oder um Depeschen handelte.
Die Offiziere der Lancaster sprechen Commodore Torrijos ihren Respekt aus und fühlen sich geehrt, ihn zum Empfang von Captain Bell von der Gagarin zu bitten, der in der Offiziersmesse der Lancaster am 16. Mai zur Abendwache stattfindet.
Antwort erbeten an R. Chandrasekhar Wells, Commander Sergei kam aus der Duschkabine und trocknete sich ab, während er an seinem Schreibtisch vorbeiging, auf dem die Einladung auseinander gefaltet lag. Aller Elektronik zum Trotz war sie von Hand geschrieben worden, auf cremefarbenem Briefpapier, das das aus Sonne-und-Schwert-Symbol des Imperiums ebenso trug wie die zwei weißen Rosen, das Emblem der Lancaster. Ein nervöser Offiziersanwärter auf seinem ersten Einsatz hatte die Einladung vor ein paar Stunden überbracht und dabei eine Miene gemacht, als würde er schreiend aus dem Quartier rennen, sollte der Commodore auch nur »buh« machen. Sergei wahrte zwar die ernste Miene, die man von einem Flaggoffizier erwartete, doch innerlich musste er grinsen, als der junge Mann ihm stammelnd einen Gruß von Commander Wells überbrachte, den Brief abgab und dann darauf wartete, wegtreten zu dürfen.
Er ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder, wartete, bis der sich seinem Körper angepasst hatte, und nahm sich dann die Einladung vor. »Die Offiziere der Lancaster sprechen Commodore Torrijos ihren Respekt aus …« Für den Captain eines Raumschiffs hätte die Formulierung lauten müssen: »Die Junioroffiziere der Lancaster sprechen Captain Torrijos ihren Respekt aus … « Doch Sergei war nicht mehr allein für dieses Schiff verantwortlich. Es waren mehrere Wochen vergangen, ehe die Einladung in die Offiziersmesse erfolgt war, eine höfliche Geste, die üblicherweise noch während des ersten Sprungs ausgesprochen wurde. Aber vermutlich hatten sie geglaubt, er sei zu beschäftigt, oder aber sie wollten auf einen besonderen Anlass warten. Nun, den hatten sie jetzt bekommen: Der Captain des Geschwaders war mit den Offizieren aller übrigen Schiffe zusammengekommen, nur die Lancaster hatte bislang noch nicht das Vergnügen gehabt, obwohl sie das Flaggschiff war, das den Admiral und den Commodore beförderte.
Er legte die Einladung zurück auf den Tisch und warf das Handtuch in Richtung Wäschekorb. Ein hoher Dienstgrad hat seine Vorzüge, dachte er ironisch. Er wusste, beim Wachwechsel würde ein Offiziersbursche herkommen und hinter ihm aufräumen. Sergei ging zum Schrank, nahm eine saubere Uniform heraus und begann, sich vor dem Spiegel anzuziehen, während er in Gedanken bereits beim kommenden Abend war.
Von allen Traditionen der Navy – von denen es reichlich gab -war die Offiziersmesse die angenehmste. In den Tagen der zur See fahrenden Navy auf seiner Heimatwelt verfugte der Captain des Schiffs über eine eigene Kajüte und sein eigenes Reich, während die anderen Offiziere auf Privatsphäre verzichten mussten, wenn sie arbeiten, entspannen oder sich vergnügen wollten. Bei der ersten Generation von Raumschiffen mit Überlichtgeschwindigkeit war der Antrieb platzraubend und nicht sehr effizient gewesen, weshalb es im Schiff extrem eng und gedrängt zuging. Mit Ausnahme des Captains mussten die Offiziere sich die Schlafquartiere mit der Crew teilen. Das Privileg einer Offiziersmesse wurde voller Eifer gehütet.
Mit der Zeit hatte sich das alles verändert. Heutzutage war es sogar an Bord eines Kriegsschiffs wie der Lancaster so, dass die Ausstattung einer Offiziersmesse etwas über das Schiff, seine Offiziere und vor allem seinen Captain aussagte. Wohlhabende Commander gingen sogar so weit, selbst dafür zu bezahlen. Sergei und sein unmittelbarer Vorgänger Ted McMasters hatten von der Großzügigkeit des ursprünglichen Captains der neuen Lancaster, Sir Malcolm Rodyn, profitieren können, der einer dieser wohlhabenden Commander gewesen war. Es hieß, Sir Malcolm habe einen der besten Tische in der Navy geführt, und Ted und nach ihm auch Sergei hatten alles daran gesetzt, diesen Ruf nicht zu schädigen. Auf Sergeis erster Reise gab es in der Offiziersmesse ein Galadinner für Admiral Boulanger, bei dem sogar Ted McMasters wortkarg und
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