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Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Titel: Bd. 1 - Die dunkle Schwinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter H. Hunt
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einem solchen Schicksal zu überlassen. Also kratzte ich das Geld zusammen und kaufte den Tisch. Ich habe es bis heute nicht bereut.«
    Captain Bell schien ihn mit echter Bewunderung anzusehen. »Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack, Sir. Etwas so Schönes auf einem Kriegsschiff wirkt generell zwar prahlerisch, aber … wenn man diese Tafel hier sieht« – sie deutete mit dem Weinglas auf das Dekor des Raums –, »dann kommt es einem ganz natürlich vor.«
    Er lächelte und wollte einen Schluck nehmen, als es auf einmal einen Knall gab, gefolgt vom Geräusch berstenden Glases. Sofort zogen sich alle zurück – bis auf den Übeltäter, einen jungen Mann in Galauniform, der wie erstarrt dastand und mit einer Mischung aus Schuldbewusstsein und Erstaunen dreinblickte.
    Auf einmal begann Chan Wells, der Chef der Offiziersmesse der Lancaster, ein Lied anzustimmen, in das die anderen einfielen.
    »Ein Hoch auf Ensign Elway, ein Hoch auf Ensign Elway, ein Hoch auf Ensign Elway, der heut Nacht hier bei uns ist«, begannen die Offiziere der Lancaster, die den tollpatschigen jungen Ensign auf die Schippe nahmen. Bei jedem Refrain stießen die Männer auf den jungen Mann an, dem die Situation mit jeder Minute peinlicher wurde. Während der letzten Strophe nahm der jüngste Offizier des Schiffs einen breitkrempigen Schlapphut aus einem Regal und ging von einem zum anderen. Jeder Junioroffizier der Lancaster warf ein Scrip in den Hut, der am Ende des Lieds fast randvoll mit besonderem Schwung an Chan Wells übergeben wurde.
    Der ging zu Ensign Elway, der sich während der Prozedur nicht gerührt hatte. »Auf Befehl des ersten Captains dieses Schiffs …«, begann er.
    »… möge seine unsterbliche Seele uns zulächeln …«, warfen die anderen Offiziere ein.
    »… im Namen der Offiziere und des Captains der Lancaster … «Er verbeugte sich respektvoll in Richtung Sergei.
    »… mögen unsere Kehlen niemals trocken sein …«
    »… überreiche ich Ihnen, Ensign Pedro Marion Elway, die Auslösung.« Chan hielt ihm den Hut hin, Ensign nahm ihn an, bedankte sich und gab ihn zurück, während sein Kopf noch immer hochrot war, da alle ihn ansahen.
    Die Offiziere applaudierten und riefen: »Großartig gemacht!«, und: »Erduldet wie ein Gentleman«, dann nahmen die Gäste ihre unterbrochenen Gespräche wieder auf, als sei nichts geschehen. Ein Offiziersbursche, den man zwischenzeitlich gerufen hatte, kehrte unterdessen die Scherben auf.
    »Was war denn das?«, fragte Alyne Bell verwundert.
    Sergei lächelte sie an. »Eine alte Tradition. Diese Kelche sind aus Corcyran-Kristall geschliffen, sie sind außergewöhnlich schön und unverschämt teuer. Außerdem sind sie extrem zerbrechlich, was bedeutet, dass sie üblicherweise von Ensigns auf ihrem ersten Einsatz zerschlagen werden.« Er hob den Kelch so, dass sich das Licht in der blassen Rose brach, die in die Oberfläche geätzt worden war. »Da wir unsere jungen Besatzungsmitglieder nicht in den Ruin treiben wollen, aber auch unser Kristall und das Porzellan benutzen wollen, gibt es eine einfache Regel: Wenn ein Offizier das erste Mal ein Glas zerschlägt, legen die anderen zusammen, um Ersatz zu beschaffen. Ab dem zweiten Mal ist er auf sich gestellt. Unserem jungen Elway wurde dieses Glas spendiert.«
    »Ich … verstehe. Sagen Sie, Commodore, haben Sie …«
    »O ja. Bei meinem ersten Einsatz auf der Lancaster wurde ich vom Ersten Offizier ausgesucht, ihm bei der Planung eines besonderen Dinners für den Commodore zu helfen. Ich stieß eine Suppenterrine in Delfter Blau vom Tisch und bekam das Lied von XO und dem Offizier vom Tagesdienst vorgesungen. Die beiden erklärten mir anschließend, dass ich ihre Gunst für die nächsten fünf Reisen aufgebraucht hätte.«
    Captain Bell musste unwillkürlich lachen. Sergei stellte fest, dass ihm der Klang ihres Lachens gefiel, wusste aber nicht, was er mit dieser Erkenntnis anfangen sollte.
    »Mich würde interessieren, wie Sie über unseren neuen Admiral denken«, wagte er einen Vorstoß.
    »Ich war schon immer der Ansicht, Sir, dass es keine kluge Taktik ist, sich über Vorgesetzte zu äußern, vor allem einem anwesenden Vorgesetzten gegenüber.«
    »Gut pariert, Captain. Kompliment.« Er prostete ihr zu und trank einen Schluck. »Meine Neugier ist aber nicht durch Taktik motiviert. Ich frage mich lediglich, wie das alles auf andere wirken muss.«
    »Privileg der Offiziersmesse?« Sie sah sich um, als wolle sie feststellen, wer

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