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Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Titel: Bd. 1 - Die dunkle Schwinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter H. Hunt
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in Richtung Lift, während seine Gedanken um die Dunkle Schwinge kreisten.

8. Kapitel
     
     
    Zwei Briefe, die das offizielle Siegel Seiner Imperialen Hoheit Alexander Philip Juliano trugen, wurden gleichzeitig vom imperialen Anwesen auf Oahu abgeschickt. Der erste Brief, der auf dem persönlichen Velinbriefpapier des Imperators geschrieben war, wurde einem Kurier anvertraut. Die Frau verstaute ihn in ihrer Posttasche und stieg unverzüglich in einen Copter, von dem sie zum transkontinentalen Shuttle-Landeplatz der Nachbarinsel Molokai gebracht wurde. Dort stand ständig ein Shuttle bereit, der nach dem Eintreffen des Kuriers zur Imperialen Versammlung nach Genf flog.
    Der Bestimmungsort des zweiten Briefs war deutlich weiter entfernt; er wurde in elektronischer Form und verschlüsselt an einen Kommunikationssatelliten im Orbit geschickt. Der wiederum richtete einen gebündelten Strahl mit Überlichtgeschwindigkeit auf einen Stern fünfter Größe im Sternbild Skorpion und schickte ein Energiepaket los, das innerhalb einer Mikrosekunde geschnürt war, sich ausdehnte und im Nichts des Sprungraums verschwunden war.
    Wie der Zufall es wollte, erreichten beide Briefe ihr Ziel fast gleichzeitig.
    Es war ein stürmischer Nachmittag in der Stadt am See. Ein für August untypisch kalter Tag hatte die Genfer heimgesucht, die lieber zu Hause blieben, um dem peitschenden Regen und dem heftigen Wind aus dem Weg zu gehen, die einen Vorgeschmack auf den Herbst brachten. Als wollte eine höhere Macht die Bewohner verspotten, lagen die nur wenige Kilometer entfernten Hänge des Saleve mit ihren Weinreben in strahlendem Sonnenschein, während für die Städter die Sonne hinter dicken grauen Wolken verschwunden war, die sich im Genfer See spiegelten.
    Der Premierminister stand am Fenster im sechsten Stock und betrachtete die Wetterkapriolen. Für einen Moment war die Versammlung vergessen, und er verlor sich in der schönen Aussicht, an der nicht mal Regen und Sturm etwas ändern konnten. Sein wendiger Verstand erfasste den vorzeitigen Herbsteinbruch schnell als eine Metapher für das, was sich in dem Parlament abgespielt hatte, was sich schon den ganzen Sommer über abgespielt hatte, während er immer wieder taktiert hatte, um einen Vorteil zu erringen.
    Das Ende war nah. Er konnte es nicht wirklich hören oder sehen, doch er spürte, dass es sich näherte. Er war bei keiner wirklich wichtigen Entscheidung unterlegen, und das würde auch nicht geschehen, beherrschte doch seine Dominion-Partei seit über einem Dreivierteljahrhundert die Versammlung. Nichts sprach dafür, dass er diese Mehrheit verlieren würde. Daran würde nicht mal sein ehemaliger Widersacher, der Abgeordnete Tomas Hsien, etwas ändern. Doch seine Feinde befanden sich innerhalb seiner eigenen Partei.
    Er wusste, was kam, doch das Protokoll – und natürlich seine Würde – verlangte von ihm, es sich nicht anmerken zu lassen. Nach sechs Jahren als Premierminister im Dienst des alten und des derzeitigen Imperators kannte er sich mit beiden Dingen aus.
    So hätte es nicht kommen sollen, sagte er sich, rieb sich die Stirn und wandte der Aussicht den Rücken zu. Alles Vertraute in seinem Büro erschien ihm im gedämpften Kunstlicht mit einem Mal fremd und wie ein Widerspruch zu dem düsteren Tag, der draußen herrschte. Er erinnerte sich an bessere Tage, an denen die helle Sommer- oder Wintersonne in sein Büro geschienen hatte. Es war sonnig gewesen an jenem Tag, als er die Führung der Dominion-Partei und damit die Regierung übernahm, um seinen in Misskredit geratenen, entmutigten Vorgänger abzulösen, der das Vertrauen der Partei und – schlimmer noch – des Imperators verloren hatte. Ob konstitutionelle Monarchie oder nicht – ohne persönlichen Rückhalt des Mannes, der den Thron auf Oahu innehatte, konnte in der Versammlung nicht vernünftig regiert werden.
    Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Es war ein langer Sommer gewesen, doch er ging nun zu Ende. Bei der Plenarsitzung der Versammlung an diesem Nachmittag (die in der großen schüsselförmigen Kammer stattfand, die man ursprünglich für den Völkerbund errichtet hatte, den es aber seit Jahrhunderten nicht mehr gab) hatte er bemerkt, dass ihm die Kontrolle zu entgleiten begann. In wenigen Minuten würde der Oppositionsführer ihn hier aufsuchen. Seit über drei Monaten gelangten immer wieder Berichte an die Öffentlichkeit, die sich mit den Vorgängen in den Randregionen des Imperiums befassten.

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