Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
weil ihre Zerstörung nicht notwendig war. Admiral Marais findet, dass sich dieses Nest hervorragend als Übungsgelände für die Infanterie eignet.«
Wie erfreulich, dachte Sergei. »Gibt es noch mehr?«, fragte er, als der Bildschirm grau wurde.
»Das Logbuch des Überflugs ist natürlich um einiges länger. Ich dachte mir, dieser Auszug würde genügen. Er zeigt die Haupteinsatzgebiete der Truppe: Bombardements der Industrie- und Militäreinrichtungen, Vernichtung der landwirtschaftlich genutzten Flächen, Zerstörung der Nester. Wegen der erfolgreichen Durchführung dieser Operationen war es nicht nötig, auch noch die Ozeane zu entvölkern.«
Sergei saß schweigend da und überlegte, was er nun sagen sollte. Chan spielte nervös mit dem Stylus.
»Commodore?«, fragte er nach einer langen Pause. »Sergei? Stimmt irgendetwas nicht?«
»Chan, wie viele Opfer hat dieser Einsatz gekostet?«
»Zweiunddreißig Tote, siebenhundertachtundz … nein, siebenhundertneunundzwanzig Verletzte.«
»Ich meinte deren Seite.«
Chan setzte sich auf. »Ich kann nur eine Schätzung bieten. Etwa vierhunderttausend, Sir.«
»Ich nehme an, das ist eine optimistische Schätzung.«
»Mit Blick auf die wenigen verfügbaren Informationen und vorläufige demographische Untersuchungen ist das wohl die Untergrenze. Es könnten auch doppelt so viele sein.«
Sergei ließ diese Zahl einen Moment lang auf sich wirken. Allmählich kehrten seine Gedanken zurück zu Admiral Marais. Er wusste, der nächste Schritt dieses Feldzugs würde dem letzten noch verbliebenen Flottenstützpunkt in diesem Sektor gelten, A’anenu. Danach blieben den Zor nur noch die Innersten Welten im Antares-System sowie alles, was jenseits davon lag und was für das Sol-Imperium unbekanntes Territorium darstellte.
Es war fast sicher, dass Zor’a – wie die Zor ihre Heimatwelt nannten – letztlich auch Ziel eines Angriffs werden würde, der sich von dem Einsatz auf S’rchne’e nicht allzu sehr unterscheiden sollte. Der Kampf um Zor’a würde sogar noch viel heftiger geführt werden, wenn eine Steigerung überhaupt noch möglich war. Am Ende würden die Zor verlieren, weil die Flotte der Menschen ihnen überlegen war.
Zum ersten Mal bei diesem Feldzug wurde Sergei bewusst, dass die Flotte im Begriff war, eine ganze empfindungsfähige Spezies auszulöschen. Es ging nicht um Sieg, um Eroberung oder Unterwerfung, sondern um die völlige Vernichtung, um das Ende einer ganzen Spezies.
Die Zor würden sterben, damit die Menschheit weiterleben konnte.
Er konnte diesen Gedanken ethisch nicht mal im Ansatz fassen, so ungeheuerlich wirkte er auf Sergei. Als Soldat hatte er immer akzeptieren können, dass Töten zu seinen Aufgaben gehörte. Wie hatte es ein General im zwanzigsten Jahrhundert einmal formuliert: »Der Job eines Soldaten ist nicht, für sein Land zu sterben, sondern den anderen dämlichen Bastard für dessen Land sterben zu lassen.«
Doch es sah ganz anders aus, wenn ein Sterblicher eine Verantwortung auf sich nahm, die höheren Wesen vorbehalten bleiben sollte. Die Auslöschung der Zor sollte nicht in der Hand eines einzelnen Menschen liegen. Nicht einmal der Wunsch der Zor, die Menschheit zu vernichten, konnte das zu einem Akt der Gerechtigkeit machen. Der Todesengel für das Volk der Zor zu sein, war einfach zu viel.
Auf einmal traf ihn eine Erkenntnis, die ihn an die Stabsbesprechung denken ließ – und an Marais’ Kommentare über die Richtung dieses Krieges.
Sie waren längst die Dunkle Schwinge, jener mystische Todesbringer der Zor, der ohne Rücksicht vernichtete, der Verhandlungen keine Chance ließ und der jegliche Vergeltung unmöglich machte. Sie konnten die Dunkle Schwinge sein … sie würden die Dunkle Schwinge sein. Von einer schrecklichen Gewissheit erfasst, wusste er, dass es so war. Mit einem Mal kam ihm alles fremd vor, als würde er die Welt plötzlich mit anderen Augen sehen.
Es gab kein Zurück, es war nicht möglich, irgendetwas ungeschehen zu machen, oder irgendetwas von dem zu verhindern, was kommen würde.
»Sagen Sie Captain Bell, sie hat gute Arbeit geleistet, Chan.« Er stand auf und ging zur Tür der Offiziersmesse, dann wandte er sich noch einmal an seinen XO, der ihm vertraut und fremd zugleich erschien. »Und … wenn mich jemand braucht, ich bin in meiner Kabine.«
»Stimmt etwas nicht, Sir?«, fragte Chan erneut und sah Sergei an.
»Nein, es ist … nichts. Überhaupt nichts.« Dann ging er durch den Korridor
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