Bd. 3 - Der dunkle Stern
warf Byar einen Blick zu, der keinen Zweifel ließ: Wenn Sie ohne den Hohen Lord zurückkehren, machen Sie sich bereit, den Äußeren Frieden zu überwinden.
Byar überlegte, ob er protestieren sollte, entschied sich aber dagegen. Sein junger Hoher Lord war so fest entschlossen, und die Notwendigkeit, S’reths Worte zu verstehen, war so dringend, dass das Risiko vertretbar erschien.
»Wollen wir beginnen«, sagte Sa’a und schloss die Augen, legte die Flügel um ihren Körper und nahm die Pose der Huldigung gegenüber esLi ein.
Byar schloss ebenfalls die Augen, bereit, sich dem hsi seines Hohen Lords zu unterwerfen, bereit, seinen Geist dahintreiben zu lassen …
Als er die Augen wieder aufschlug, sah er ringsum nur trübes Grau, so wie ein weites, offenes, in Nebel gehülltes Lle. Von irgendwoher kam Licht, doch es schien keine Quelle zu haben. Er konnte etwas erkennen, das wie zerbrochene Säulen aussah, aber hinter wirbelnden Ranken teilweise verborgen war, die erstarrten Klauen gleich in einen Himmel aufragten, von dem nichts zu sehen war.
»Kommen Sie«, sagte Sa’a und flog los, wobei sie dicht über dem Boden blieb. Mit wenigen Flügelspannen Abstand folgte er ihr.
Die Ebene des Schlafs war ein Konstrukt der Fühlenden, ein Pfad, der wegführte von der Welt die Ist. Es war nur ihr hsi, das diese Reise unternahm, während der Hohe Kämmerer mit gezücktem chya bereitstand, um ihre Körper im esTi'e’e des Hohen Lords zu beschützen.
Die Welt die Ist schien weit entfernt zu sein, als sie weiterflogen.
Byar kannte den Am’a’an-Kodex. Es hatte ihn überrascht, dass der Hohe Lord ebenfalls damit vertraut war. Der letzte aufgezeichnete Versuch, die Ebene des Schlafs zu bereisen, hatte noch vor si S’reths Geburt stattgefunden, sogar noch vor den Kriegen gegen die naZora’i. Jeder Fühlende würde einem sagen, es sei zu gefährlich. Es handelte sich um einen Ort, an dem man sein hsi verlieren konnte – also schlimmer noch als das Tal der Verlorenen Seelen. Doch er konnte hi Sa’a diese Reise nicht allein unternehmen lassen. Das wäre undenkbar gewesen, und deshalb war er nun hier.
Als sie über die Ebene flogen, veränderte sich deren düstere Oberfläche kaum. Es gab hin und wieder Bauten zu sehen, alle unvollendet, als seien sie Bruchstücke von Träumen. Hier und da waren auch Personen zu beobachten, deren hsi in ihrem Traum umherwanderte. Wie Geister tauchten sie aus dem Nebel auf und verschwanden auch wieder darin.
Der Hohe Lord flog mit finsterer Entschlossenheit voraus und sah sich kaum einmal nach Byar um, ob der überhaupt noch folgte. Es schien nicht wichtig zu sein, in welche Richtung oder wie weit sie flogen, da auf der Ebene des Schlafs keine zwei Punkte in einer festen Entfernung zueinander standen. Anders als das Land der Schmach, das feste Bezugspunkte wie die Gefahrvolle Stiege und die Eiswand besaß, stellte sich die Ebene des Schlafs als weitläufiger, chaotischer und formloser Ort dar, als ein ätherischer Schatten der Realität.
Nach einem Zeitraum, der ihm wie ein Achtel einer Sonne vorkam, der vielleicht aber nur einen Bruchteil dessen betrug, war unter ihnen eine Lichtung zu sehen. In deren Mitte befand sich ein kreisrunder grauer Stein, der von Wind und Wetter geglättet worden war und auf dem eine achteckige Plattform ruhte.
»Der Stein des Gedenkens«, sagte Sa’a und wurde langsamer, um darüber in der Luft zu schweben. »Oder besser gesagt: sein Nachhall. Er ist das Pendant zum Stein auf E’rene’e.« Der eigentliche Stein war ein übersinnliches Artefakt, das sich auf jenem am Rand der Innersten Welten gelegenen Planeten befand. Dort wurde das k’chya des Nests HeU’ur traditionell dem neuen Lord des Nests übertragen. Nur wenige andere kamen jemals in dessen Nähe.
Byar nahm die Haltung der Ehrerbietung gegenüber den Vorfahren ein und landete ein deutliches Stück vom Rand der Plattform entfernt. Sa’a ließ sich auf der Plattform selbst nieder, die Flügel in der Haltung der Ehrerbietung gegenüber esLi …
Plötzlich war sie dort nicht mehr allein. Noch jemand war unerwartet aufgetaucht und hielt sein gezogenes chya bereit. Sa’a war nicht darauf vorbereitet und wich schnell aus, während sie nach ihrem hi’chya griff.
»Wer ist dort?«, fragte der andere, während er von Sa’a zu Byar sah, der sein chya bereits in der Hand hielt. Byar ließ sich nicht auf dem Stein nieder, war aber unentschlossen, wie er dem Hohen Lord helfen sollte.
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