Bd. 3 - Der dunkle Stern
begannen zu streiten: Ich war noch nie dort gewesen, aber man erfährt darüber in der Schule: die Kriege, die ökologischen Katastrophen und so weiter. ›Hör zu‹, sagte ich. ›Dieron kann auf ein paar Jahrhunderte Geschichte zurückblicken, und wir haben fast alles richtig gemacht: keine Überbevölkerung, Verwaltung der Biosphäre, eine stabile Umwelt, keine Kriege. Was hat die Erde, was Dieron nicht hat? Was stimmt nicht mit Dieron?‹
›Es genügt mir nichts erklärte sie. Dieron genügte ihr nicht -mit sechzehn Jahren! Dieser Ort hier genügte ihr nicht, ihre Mutter und ich genügten nicht, Sie genügten ihr nicht. Ich vermute, der Dienst in der Navy genügte ihr auch nicht. Ob sie immer noch nach etwas sucht, weiß ich nicht, aber ich hoffe, sie hat noch genug Zeit, um es zu finden.«
»Und wohin wirst du von hier aus Weiterreisen?« Kristen kauerte auf einem Felsvorsprung, von dem aus sie einen Strom überblicken konnte. Regenschirmbäume verdeckten zum Teil die Sicht auf die Monde, die in den Nachthimmel aufstiegen.
»Zurück nach Zor’a«, antwortete Jackie. »Der Hohe Lord beziehungsweise einer ihrer Berater hatte mir auf dem Weg hierher einen Brief zukommen lassen, ich möge doch möglichst bald zurückkehren.«
»›Ihrer‹?«
»esShaLie’e«, sagte Jackie. Noch während sie das Wort aussprach, erschien es ihr fehl am Platz. »›Hoher Lord‹ ist eigentlich eine schlechte Übersetzung. Der Zor-Begriff ist nämlich geschlechtsneutral, und der momentane Hohe Lord ist eine Frau, hi Sa’a ist die Tochter des vorangegangenen Hohen Lords Ke’erl.«
»Hmm.« Kristen verschränkte kurz die Arme und ließ sie gleich wieder fallen, als bereite die Vorstellung ihr ein gewisses Unbehagen. »Wie gut sprichst du … ahm … Zor?«
»Die Hochsprache? Inzwischen recht fließend, auch wenn ich mangels Flügel manches nicht ausdrücken kann.«
»Ich nehme an, das hast du an der Akademie gelernt.«
»Vor sechs Monaten konnte ich kaum die Töne und Knacklaute an den richtigen Stellen setzen. Ch’k’te« – allein seinen Namen auszusprechen, bereitete ihr eine Gänsehaut –, »der auf Cicero mein XO war, brachte mir die Sprache ein wenig bei, aber erst durch die Ereignisse der letzten Monate habe ich gelernt, sie fließend zu sprechen.«
»›Die Ereignisse der letzten Monate‹ …«
»Das … das ist schwer zu erklären.« Jackie saß auf einem kleinen Findling, die Hände in den Schoß gelegt. Sie fühlte den Druck des gyaryu an ihrer Hüfte. Hier mitten im Wald war es ruhig. Kein Lebenserhaltungssystem summte, keine andere Elektronik verursachte Geräusche – nur die Tiere und der Wind, der die Blätter rascheln ließ.
»Ich weiß nicht, ob ich verstehe, was du meinst.«
»Ich weiß nicht mal, ob ich es selbst verstehe. So viele Dinge haben sich geändert …«
»Anwesende eingeschlossen«, stellte Kristen ein. »Ich glaube, ich habe deinen Dad seit Jahren nicht mehr so besorgt gesehen. Was hast du ihm gesagt? Dass morgen die Welt untergeht?«
Jackie musste wegsehen, da sie nicht antworten konnte.
»Hör zu, Cousine. Du wirst wieder von hier abreisen, aber ich lebe hier. Könntest du mir freundlicherweise sagen, was los ist?«
»Die Welt geht unter.«
»Sehr witzig …«
»Das ist kein Witz, Kris.« Jackie konnte nicht verhindern, dass sie eine sorgenvolle Miene machte. »Wir befinden uns im Krieg mit einem mächtigen Feind, der in der Lage ist, uns auszulöschen, uns zu besiegen, sogar unseren Platz einzunehmen. Es wird so schnell gehen, dass keine Zeit zum Reagieren bleibt, von Vergeltungsmaßnahmen ganz zu schweigen.«
Kristen schien das nicht zu überzeugen. »Das spielt sich aber weit von Dieron entfernt ab?«
»So weit auch nicht. Was kommt, wird uns alle betreffen. Auch Dieron. Und ich habe nicht die Macht, es aufzuhalten.«
Später in der Nacht zog von den Livingston Mountains ein Unwetter auf. Es donnerte unaufhörlich, und die Blitze waren so grell, dass die Felder taghell erleuchtet waren. Der Lärm des Unwetters mochte Jackie aus ihrem Schlaf geholt haben, doch es war eine sanfte Stimme, die sie richtig wach werden ließ.
Sie setzte sich in ihrem Bett im Gästezimmer auf und sah aus dem Fenster. Draußen auf dem Rasen, vielleicht zwanzig Meter vom Gebäude entfernt, konnte sie eine menschliche Gestalt ausmachen, die von den fernen Blitzen beschienen wurde.
»Jackie«, sagte die Stimme wieder, und als sie sie erkannte, bekam sie eine Gänsehaut.
»Mutter?« Ihr Magen
Weitere Kostenlose Bücher