Bd. 3 - Der dunkle Stern
Mein uralter Feind Shrnu’u HeGa’u, der mich immer wieder zu vernichten versucht hatte, war offenbar zugegen, um mir auf Center das gyaryu auszuhändigen und mir die Abreise von dort zu ermöglichen. Shrnu’u HeGa’u, der Diener des Täuschers, der uralte Feind von Lord esLi und damit auch der Feind des Hohen Nests, hat die Legende von Qu’u erfüllt. Dass ich hier bin, haben Sie ihm zu verdanken.«
Ein Windstoß erfasste Byar HeShris Flügel und zerrte am Saum von Jackies Umhang.
»se Jackie«, sagte Byar behutsam, »falls Sie damit recht haben, dann frage ich mich … Wenn si S’reth wusste, dass wir einer früheren Legende folgen mussten, in der das Schwert von der Ebene der Schmach zurückgeholt wird, warum sagte er niemandem ein Wort davon, bis es beinahe zu spät war, um es zu verstehen? Wäre unser Hoher Lord eine Flügelspanne weniger mutig oder weitsichtig gewesen, hätten wir es vielleicht nie erfahren. Warum enthüllte er das nicht vor uns?«
»Weil S’reth letztlich ein Lehrer war. Wir mussten durch sSurch’a herausfinden, was wir zu tun hatten. Vielleicht sah er sogar seinen eigenen Tod voraus, sein Fehlen im Rat des Hohen Nests, wenn wir ihn am dringendsten benötigen würden. Jetzt«, schloss sie und legte eine Hand auf das Heft des gyaryu, »müssen wir diesen Pfad allein bis zum Ende fliegen.«
Byar entgegnete nichts, sondern schaute ins Tal und mied es, Jackie anzusehen.
»Eine Sache verstehe ich noch immer nicht«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Warum will Shrnu’u HeGa’u mich töten?«
Der Meister des Sanktuariums drehte sich nicht zu ihr um. Wieder erfasste eine Böe seine Flügel, als versuche der Wind, für ihn eine Position auszuwählen. »Shrnu’u HeGa’u ist ein Diener des Täuschers, Sie sind esLis Diener. Warum sollte er Sie nicht vernichten wollen?«
»Das ist mir klar. Aber dann ergibt sich eine andere Frage: Warum gab er mir das Schwert? Warum tötete er mich nicht, als er auf Center die Gelegenheit dazu hatte? Welchen Sinn hat das Ganze?«
»Die Schmach hat keinen ›Sinn‹, se Jackie. Es gibt keinen Sinn. Shrnu’u HeGa’u versucht Sie zu töten, weil das in seiner Art liegt.«
»Das genügt mir nicht. Stone hätte mich auf Center töten können, stattdessen gab er mir das Schwert. Wenn das auch das Werk von S’reth ist, muss ich annehmen, dass er dieses gesamte Drama in Gang setzte, weil es einen Sinn gab. Wir müssen herausfinden, welches sSurch’a er sich für uns gewünscht hatte. Es muss irgendeinen Teil der Legende geben, den wir übersehen haben.«
Byar wandte sich zu ihr um. »Oder es gibt einen Hinweis in jenen Legenden, auf denen seLi'e'Yan basiert. Unser Älterer Bruder ging davon aus, dass wir uns mit einer früheren Ausgäbe der Qu’u-Legende befassen sollten. Vielleicht gibt es doch Hinweise.«
»Welche zum Beispiel?«
»Wir werden es erst wissen, se Jackie«, erwiderte er geduldig, »wenn wir einen Blick hineinwerfen.«
Die Anzahl der Gäste bei der Totenfeier für S’reth war größer, als Jackie erwartet hätte. S’reth war der älteste Zor, den sie je gesehen hatte. Er war vor fast einem Jahrhundert während Marals’ Krieg gegen die Zor aus dem Sanktuarium hervorgegangen und hatte viele Jahre als Sprecher der Jungen im Rat der Elf gedient. Fast ein Jahrzehnt lang war er sogar bevollmächtigter Botschafter bei den Otran gewesen.
Kurz gesagt: Er kannte so gut wie jeden.
Doch es waren noch mehr und auch andere Leute anwesend, als sie vermutet hätte. Als Gyaryu’har verfügte Jackie über einen hervorragenden Platz in der Halle des Volkes: eine Sitzgelegenheit, die an menschliche Erfordernisse angepasst war (ein flacherer Bereich, den man über eine schmale Treppe erreichen konnte), nur ein paar Meter unterhalb der Stelle gelegen, von der aus der Hohe Lord normalerweise das Geschehen verfolgte.
Während Jackie dastand und versuchte, das Gedränge gelassen hinzunehmen, entdeckte sie die stämmige Gestalt von Konteradmiral Cesar Hsien, wie er in Begleitung seines Stabes die Halle betrat. Er erweckte den Eindruck, sich unbehaglich zu fühlen, denn trotz seiner zur Schau gestellten Würde schien er sich nicht davon abhalten zu können, den Blick nach oben zu richten zur riesigen Kuppeldecke gut neunzig Meter über ihm und zu den Hunderten von Sitzstangen und Zugangswegen. Überall drängten sich Zor, von denen einige auch ihn ansahen.
Ob er sie auch von dort unten erkennen konnte, wusste Jackie nicht. Warum er hergekommen war,
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