BE (German Edition)
Kommunistischen Manifest »Alles Ständische und Stehende verdampft« (poetischer auf Englisch »And all that is solid melts into air«) prophetischer.
Für die deutsche Filmbranche bedeuteten die hochschnellenden Werte einiger börsennotierter Filmfirmen, dass die Preise im Filmeinkauf in die Höhe getrieben wurden. Plötzlich wurden Phantasiepreise aufgerufen, die bedeuteten, dass ein deutscher Verleiher bis zu 15 Prozent eines Filmbudgets hinblättern musste, um einen Film in Deutschland verleihen zu können. Was sollte die Constantin Film angesichts dieses neuen rauen Windes tun? Bernd stand dem Aktiengeschäft mit den Internetfirmen extrem skeptisch gegenüber. Er konnte nicht erkennen, wie man im Internet Profite erwirtschaften konnte und glaubte nicht an die virtuellen Werte, die am Neuen Markt auf rasante Weise entstanden. Trotzdem. Die Zeiten hatten sich geändert, und die Constantin Film musste mit der Zeit gehen.
Nach langer Überlegung und Beratung mit Mitstreitern wie Herman Weigel entschloss sich Bernd, die Constantin Film an die Börse zu bringen. Dazu brauchte er allerdings grünes Licht von Leo Kirch. Dieser reagierte zunächst enttäuscht. War Bernd jetzt auch einer von den neuen Gordon Gekkos geworden, die schnell mal am Neuen Markt abkassieren wollten? Bernd musste einige Überzeugungsarbeit leisten, um Leo Kirch zu verdeutlichen, dass die Constantin Film ohne Börsengang keine Zukunft hatte. Natürlich würde Bernd nicht durchknallen und glauben, dass ein Aktienwert im Zuge der gegenwärtigen Euphorie etwas über den tatsächlichen Wert eines Unternehmens aussagte. Aber ein Börsengang bedeutete ein größeres Maß an unternehmerischer Freiheit. Wenn Kirch wollte, dass Bernd weitermachte, dann musste er mit ihm an die Börse gehen. Schließlich willigte Kirch ein.
Ein Börsengang ist ein großes Unterfangen. Vor allem bei einem Unternehmen wie der Constantin Film, die bisher wie ein mehr oder weniger dysfunktionales Familienunternehmen geführt worden war. Während dieser Prozess in die Wege geleitet wurde und Bernd einer neuen Ära seines eigenen Daseins als Geschäftsmann entgegensah, fühlte er sich berechtigt, auch seiner künstlerischen Seite nachzukommen. »Das Mädchen Rosemarie« war ein großer Hit gewesen. Der Regisseur in ihm hatte Blut geleckt. Er wollte es noch einmal probieren. Und zwar mit einem Stoff, der eben genau das Gegenteil war von dem, was der Börsengang bedeutete: weder eine Vernunfts- noch eine Geschäftsentscheidung. Ein reines Liebhaberprojekt, ein Arthouse-Film, wenn man so will. Den wollte sich Bernd nun gönnen. Nach all den kommerziellen Erfolgen hatte er ihn sich verdient. Bernd entschied sich, Helmut Kraussers Roman »Der große Bagarozy« zu verfilmen – eine Hommage an Maria Callas ebenso wie ein Plädoyer für das Streben nach Perfektion. Bernd selbst würde das Drehbuch schreiben, Regie führen und produzieren. Ein echter Autorenfilm.
»Der große Bagarozy« handelt von einer frustrierten, in ihrer Beziehung gelangweilten Psychotherapeutin, die mit einem Patienten konfrontiert wird, der sich selbst für den Teufel hält und der angibt, Maria Callas sei ihm erschienen. Der Teufel erzählt der Therapeutin Maria Callas’ Lebensgeschichte und wie er sie zu seinem Geschöpf machte. In Callas, so der Teufel, wollte er der Welt den Moment der absoluten Vollkommenheit geben, nur um sie zu Fall zu bringen und so der Menschheit ihren Trost zu nehmen. Die Therapeutin verändert durch die Begegnung mit dem Teufel ihr Leben, entdeckt ihre eigene Sexualität wieder, wird wieder zur Frau. Der Teufel aber entscheidet sich zum Abenteuer der Sterblichkeit. Er entscheidet sich, Mensch zu werden. Und so finden die beiden zueinander.
Die Rolle der Therapeutin Cora Dulz besetzte Bernd mit Corinna Harfouch, die in der ehemaligen DDR als Theaterstar gefeiert wurde und nun auch im wiedervereinten Deutschland sehr erfolgreich war. Bernd war sie aufgefallen, nachdem ihm Nico Hofmann, der damals noch nicht wie heute Deutschlands größter TV-Produzent war, sondern als Regisseur arbeitete, zu einer Vorführung seines erotischen Psychokrimis »Solo für Klarinette« eingeladen hatte. In diesem Film spielte Corinna eine selbstmordgefährdete Frau, die im Verdacht steht, ihren Exmann umgebracht zu haben. Bernd war sofort von ihr begeistert. Wenn man Bernds Lebensgeschichte kennt, versteht man – ganz abgesehen von Corinnas persönlichem Charme und Charisma – auch sofort warum.
Weitere Kostenlose Bücher