BE (German Edition)
verschlafen aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer kam. Nach einem minimalen Frühstück – immer ohne Kaffee, auf den war er allergisch und er fing sofort zu zittern an –, begann die Telefoniererei. Gut ein, zwei Stunden verbrachte er am Telefon. Je nach Ergebnis der Telefonate verlief der Rest des Tages. Sei es nun, dass ihm Unterlagen oder Drehbücher nach Hause gebracht wurden oder er ins Büro oder den Schneideraum ging, oder irgendwo ein Feuer brannte und er den Rest des Tages weitertelefonierte. Bernds Alltag war die konsequente Vermeidung des Alltags, was nur dadurch auszuhalten war, dass er gewisse Rituale pflegte – wie zum Beispiel abends immer dieselben Lokale zu besuchen. Erst in den letzten zwei Jahren entdeckte Bernd das Abenteuer Normalität, als er nämlich begann, ab und zu mit mir in den Supermarkt zu fahren. Das hatte während eines Urlaubs begonnen, als er merkte, wie viel Spaß es mir machte, mit ihm Einkaufen zu gehen, und dass es auf unerwartete Weise auch ihm Freude bereitete.
Unsere Beziehung war exzessiv. Es war exzessive Nähe, exzessive Intimität, weil wir beide exzessive Menschen sind. Für Bernd war es eine Art von Erlösung, seine exzessive Persönlichkeit in Form von Liebe auszuleben. Ebenso für mich. Was ist schon Exzess als ein anderes Wort für Leben?
Keine Angst
WÄ hrend Bernd das Drehbuch zu »Der Baader Meinhof Komplex« schrieb, war Humor der Rettungsanker. Bernd begann, sich kurz nach unserer Hochzeit in die Arbeit zu stürzen. Bevor er mit dem Schreiben begann, legte er sich ein Notizbuch an. Eines Abends zog er das noch leere Notizbuch aus dem Schreibtisch und tigerte nervös davor herum. Er hatte Angst, schreckliche Angst. Zu versagen, den Figuren nicht gerecht zu werden, keine Worte für sie zu finden. Er hatte auch Angst vor den Terroristen und deren Radikalität, davor, den Fanatismus in sich hinein zu lassen. Er wusste, das würde er tun müssen, um ein gutes Drehbuch zu schreiben. Zu sagen, Bernd Eichinger sei ein angstfreier Mensch gewesen, wäre absolut falsch. Bernd kannte die Angst, sie war sein ständiger Wegbegleiter. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Menschen hat er sich nicht von der Angst leiten lassen. Er hat die Angst gefühlt und es trotzdem getan. Das hat ihn so besonders gemacht und deswegen heißt der Preis für Nachwuchsproduzenten, der im Rahmen der von ihm mitbegründeten First Steps Awards in seinem Gedenken ins Leben gerufen wurde, auch der »No Fear Award«.
Aber wie hilft man seinem Mann in dem Moment seiner größten Angst? Ich saß auf dem Sofa, während Bernd da um seinen Schreibtisch herumschlich und sich in einer langen Tirade darüber sorgte, dass »Der Baader Meinhof Komplex« vielleicht nicht verfilmbar sei und er dazu auch nicht das Drehbuch schreiben könne. Wie sollte das denn gehen: zehn Jahre Zeitgeschichte zu einem Film von zweieinhalb Stunden zu reduzieren? Zudem gab es ja nicht einmal eine durchgehende Handlung, nur lauter Handlungselemente, die nicht unbedingt zueinander passten. Die Protagonisten waren politische Akteure, die konnte er doch nicht auf irgendein bourgeoises Psychodrama reduzieren! Die konnte er doch nicht »menscheln« lassen! Aber wo war dann die Emotionalität? Wie sollte er den Zuschauer packen? Und irgendwelche endlosen Politdiskussionen, in denen dem Zuschauer noch mal zum Mitschreiben vorgekaut wird, warum wer wie handelt, wollte Bernd erst recht nicht schreiben! Zum Schluss siegte meine Ungeduld, und ich gab ihm etwas von seiner eigenen Arznei: »Bernd, du sagst doch immer, Angst ist ein schlechter Ratgeber! Du sagst doch immer ›No Fear‹!« Bernd starrte mich einen Moment lang an. Dann meinte er: »Ja, ja, genau! Schreib’s mir rein – hier, schreib mir da vorne ›No Fear‹ rein!« Deswegen steht in Bernds Notizbuch auf der ersten Seite »No Fear« in meiner Handschrift. »Der Baader Meinhof Komplex« sollte ein angstfreier Film werden. Wie seine Protagonisten.
Geschrieben wurde das Drehbuch am langen Esstisch in unserem Haus in Los Angeles, auf dem sich Bücher und Ordner stapelten. Der Schreibprozess war wie immer, wenn Bernd ein Drehbuch schrieb: Seine Drehbuchassistentin Sabina Friedland saß sehr still am Computer, und Bernd diktierte oder saß neben ihr und schwieg. Die Drehbuchassistentinnen, zumeist Praktikantinnen oder Filmstudentinnen, wohnten immer bei uns. Das mochte ich sehr gerne. Zum einem, weil sie alle sehr nett waren, zum anderen, weil es ein bisschen
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