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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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nicht wie in Fritz Langs Verfilmung der Nibelungensaga von 1924 wie dumpfe Barbaren. Auch in anderer Hinsicht sollte sich Bernds »Morgen von Walhalla« von Langs »Nibelungen« unterscheiden. Anstatt wie Fritz Lang die Burgunden und ihre »Nibelungentreue« zu glorifizieren, sollte es ein Kampf auf Augenhöhe werden, bei dem das Konzept der »Nibelungentreue« als (selbst-)zerstörerischer Fanatismus entlarvt wird.
    Bernd machte sich also auf den Weg nach Hongkong. Mit dabei war sein Professor von der Filmhochschule, Wolfgang Längsfeld, der sich in Asien auskannte und der ihm im Flugzeug beibrachte, wie man mit Stäbchen isst. Und wie alle Europäer brauchte auch Bernd erst einmal eine halbe Stunde, um sich eine einzelne Erbse in den Mund zu schieben. Die Reise führte über Bangkok, wo der Rotlichtbezirk mit obligatorischer Massage sowie die Klongs, das labyrinthische Kanalsystem Bangkoks, auf dem Programm standen. Es war Bernds erste große Reise jenseits seines bisherigen Horizonts. Nach der Landung am Flughafen schaute er aus dem Fenster und meinte zu Längsfeld: »Alter, wo sind wir denn hier überhaupt!?«
    Nach Bernds kurzem Bangkok-Abstecher ging es dann weiter nach Hongkong in Sachen Nibelungen. Das Treffen in Sir Run Run Shaws Büro hatte Wolfgang Längsfeld problemlos arrangiert, denn er kannte Shaw persönlich von früheren Begegnungen. Ein Freund von Wolfgang Längsfeld, der das Goethe-Institut von Hongkong leitete, hatte den Termin gemacht. Alles verlief reibungslos. Auch das Treffen selbst war sehr positiv. Run Run Shaw war zwar nicht persönlich anwesend, weil er sich zu der Zeit in Singapur aufhielt, aber Run Runs Bruder Runme Shaw leitete das Meeting. Für Runme Shaw war die Angelegenheit ziemlich klar: Er wollte in »Der Morgen von Walhalla« einsteigen. Gedreht werden sollte in Asien. Hagen, Krimhild, Gunter und Siegfried – sie alle sollten nach Hongkong beziehungsweise Singapur kommen und dort auf dem Studiogelände drehen. Die Nibelungen in Fernost – warum nicht?
    So ein Erfolg musste natürlich gefeiert werden. Längsfeld meinte zu Bernd: »Wenn wir schon mal in Hongkong sind, dann zeige ich dir Macao!« Macao, die ehemalige portugiesische Kolonie auf zwei Inseln am Pearl River Delta gelegen, ist vom sechzig Kilometer entfernten Hongkong mit schnellen Pendelbooten in etwa einer Stunde zu erreichen. Macao wird auch als das Las Vegas Asiens bezeichnet. Für Touristen gibt es eigentlich nur einen Grund dorthin zu fahren: Glücksspiel. Da Filmemachen letztendlich auch eine Form von Glücksspiel ist – in Bernds Fall auch immer wieder eine Form von russischem Roulette –, schien dies der passende Ort, um den Anfang einer Produzentenkarriere zu feiern. Bernd setzte also gemeinsam mit Längsfeld im Schnellboot über nach Macao und ließ sich von seinem ehemaligen Professor in ein Casino führen, das sich auf einem alten, im Hafen angedockten Schiff befand. Mit den Taschen voller Chips stiegen sie hinab in den hadesgleichen Bauch des Schiffes. Hier erwartete Bernd, der vorher noch nie ein Casino betreten hatte, kein glamouröses Etablissement wie in Monte Carlo und auch kein Glitz wie in Las Vegas.
    Das Casino, in das ihn Längsfeld führte, ließ sich nicht mit westlichen Vorstellungen vergleichen, das war eine rein asiatische Angelegenheit. Dunkel und schnörkellos. Hier standen Frauen, viele davon zwischen fünfzig und sechzig, in ihren grauen oder blauen Mao-Einheitsanzügen um die Roulettetische, rauchten Kette und starrten auf die Kugel. Wenn sie dann in die Taschen ihrer Mao-Anzüge griffen, holten sie oft ganze Stapel von Chips hervor, die sie alle auf ein Mal auf den grünen Tisch setzten – riesige Summen rannen durch ihre Hände, ohne dass es ihnen wirklich um das Geld zu gehen schien. Hier gab es nur eins: die Sucht nach dem nächsten Kick.
    Zunächst ging alles gut. Unter der Anleitung von Längsfeld, einem erfahrenen Casinogänger, spielten sie mit verteilten Rollen: Der eine ging volles Risiko, während der andere das Risiko niedrig hielt und entweder auf »Rot« oder »Schwarz« setzte. Immer nach dem erprobten Längsfeld-Prinzip: in der rechten Hosentasche das Geld, das man ausgeben will, und in der linken Hosentasche das Geld, das reinkommt. Das Prinzip funktionierte prächtig. Immer wieder gewannen Bernd und Längsfeld. Sie segelten auf einer Glückssträhne, und Fortuna füllte ihre Hosentaschen prall mit Chips. Bis dann einer der beiden die unheilvollen Worte äußerte:

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