BE (German Edition)
vorbei, es musste David Bowie sein! Aber wie sollte man Bowie dazu bringen, an einem Film über heroinsüchtige Kinderprostituierte mitzuwirken? Gerade er, der zuvor selbst ein Heroinproblem gehabt hatte – wollte er sich wirklich als Idolfigur der Heroinszene darstellen lassen? Und falls Bowie sich tatsächlich auf diese irrwitzige Idee einlassen sollte, wie sollte man überhaupt an ihn rankommen?
Bernd setzte einen Mann auf die Sache an, dessen Spezialgebiet »Product Placement« war – also die Platzierung von Produkten in Filmszenen zu Marketingzwecken der Produkthersteller. In guter Hoffnung, dass man David Bowie schon dafür gewinnen könne, in diesem Film mitzuwirken, wurden schon die Szenen gedreht, in denen Christiane mit Stella am U-Bahnsteig wartet und im Hintergrund ein großes Plakat für ein David-Bowie-Konzert zu sehen ist. »Da! Das Plakat haben wir gedreht, ohne dass wir überhaupt wussten, ob Bowie mitmacht!«, meinte Bernd jedes Mal aufgeregt angesichts seines eigenen Wahnsinns, wenn wir uns den Film zusammen anschauten und die Szene kam. Die Szenen bei dem großen Live-Konzert, in denen zwar die Konzerthalle und Konzertbesucher zu sehen sind, nicht aber die Bühne, wurden übrigens bei einem AC/DC-Konzert gedreht – natürlich wieder ohne Drehgenehmigung –, was die für David-Bowie-Fans eher ungewöhnliche Ledermontur vieler Fans erklärt. Gut. Plakat und Konzerthalle voller Fans waren im Kasten. Aber an der David-Bowie-Front gab’s absolut nichts Neues. »Auf einmal erhalte ich so einen mysteriösen Anruf von Bernd, es sei etwas in Sachen Bowie im Gange, und ich solle mich bereithalten«, so Herman Weigel. Kurz darauf kam ein Anruf bei Weigel von Polydor, Bowies Plattenfirma. Herman solle vorbeikommen. Ansonsten keine weiteren Angaben. Herman Weigel fährt also zum Polydor-Büro in Berlin und wird dort schon erwartet. »Guten Tag, Herr Weigel! Ich führe Sie nach hinten!« »Hinten« war ein Konferenzraum, in dem – Herman atmete mal kurz tief durch – David Bowie saß.
Herman Weigel erinnert sich:
Also Herman, jetzt will ich’s wissen: Wie hast du David Bowie überredet, in »Christiane F.« mitzuwirken?
HW: Ich hab ihm einfach erzählt, worum’s in dem Film geht. Das war völlig unkompliziert. Es schien ihm zu gefallen. Er hatte auch überhaupt kein Problem mit der ganzen Herointhematik. Bowie hat verstanden, dass es uns um Authentizität ging. Und er hat verstanden, dass das eine Originalgeschichte war, also nicht ausgedacht oder daher weither geholt. Ich hab ihm davon erzählt, welche Rolle er im Rahmen dieser wahren Geschichte gespielt hatte. Und dass, wenn wir seine Musik nicht bekommen, der Film komplett seine Authentizität verliert. Dass ER, David Bowie, das Idol der Jugendszene von Berlin ist.
Moment mal, Drogenszene oder Jugendszene? Ich dachte, er sei das Idol der Heroinszene um Christiane F. gewesen …
HW: Drogenszene und Jugendszene waren identisch damals. Das ist meiner Meinung nach auch das Geheimnis des Erfolgs von »Christiane F.« – sowohl des Buchs als auch des Films –, im Prinzip war damals die gesamte Jugendszene potenziell drogensüchtig. Nur die Heroinsüchtigen haben sich halt getraut. Deswegen konnte sich auch jeder mit den Kindern vom Bahnhof Zoo identifizieren. Das waren Leute, die zu dem Ort gegangen sind, vor dem der Rest Angst hatte: bis zum bitteren Ende. Ähnliches gilt auch für die RAF in der politischen Szene. Die haben einfach konsequent das gemacht, was die anderen sich nicht getraut haben oder vor dem sie der Zufall beschützt hat. Das finden die Leute faszinierend und gleichzeitig können sie sich damit identifizieren.
Leute, die bis zum bitteren Ende gehen — immer wieder ein Thema in Bernds Filmen …
HW: Jeder potenziell erfolgreiche Film ist so. Erstens geht es immer um Identifikation. Und zweitens sind die Helden idealerweise so hoch wie möglich stilisiert. Sie sind absolut konsequent in ihren Handlungen. Für die Sache geben sie sich auf. Das sind Helden. Alles andere sind Nebenrollen.
Nach Herman Weigels Vortrag zu »Christiane F.« wollte David Bowie ans Filmset fahren und sich die Dreharbeiten anschauen. Dazu stiegen Bowie, Herman und Bowies persönliche Managerin Coco in einen Opel Olympia, Bowie saß am Steuer. Man fuhr ins »Sounds«, Christianes Lieblingsdisco, wo gerade gedreht wurde. Da Bowie selbst früher in Berlin gewohnt hatte, kannte er sich aus. »Bowie war absolut unkompliziert und undivahaft. Wir
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