Beast
einbiege.
Naomi, die Vorarbeiterin, verliert kein Wort darüber, dass ich gestern nicht da war. Sie gibt mir ein neues Bartnetz und neue Handschuhe und sagt, dass ich mich in die Kebabreihe stellen soll. Heute habe ich vorgesorgt. Unterm Pullover trage ich vier T-Shirts übereinander, außerdem habe ich meine dicksten Socken angezogen. Das Radio kommt mir lauter vor als am ersten Tag, obwohl heute nicht so viele Leute da sind. Ich halte in der Reihe Ausschau nach dem hübschen Mädchen, das ich vorgestern entdeckt habe. Sie ist da und unterhält sich mit einem anderen Mädchen mit käsigem Gesicht. Die Hübsche trägt enge schwarze Jeans unter dem weißen Kittel. Ich nehme mir vor, heute herauszubekommen, wie sie heißt. Als ich gerade eifrig dabei bin, Fleischbrei in die Kebabbehälter zu füllen, ruft Naomi, ich soll mal mitkommen. Wir gehen in einen anderen Kellerraum. Dort läuft kein Radio, sonst sieht es nicht viel anders aus als nebenan. Naomi drückt mir eine Kiste tote Hühner in die Hand und sagt, ich soll sie einzeln auf ein Blech legen und auf das Fließband stellen, das sie zum Waschen und Verpacken transportiert.
Wenn deine Mum im Supermarkt ein Hühnchen kauft, ist es ganz rosagelb und sitzt so artig da wie ein Kätzchen, |91| die Beine hübsch angewinkelt und ohne Innereien. Tja, ich kann dir flüstern, es setzt sich nicht von allein so hin. Irgendein armes Schwein, ich zum Beispiel, zieht die Arschkarte und muss es zurechtmachen, nachdem es gerupft und ausgenommen worden ist. Nicht allen Hühnern bekommt diese Prozedur. Manche sehen nicht sehr appetitlich aus. Manchmal ist ein Flügel abgerissen oder die Haut ist auf einer Seite weggefetzt. Das sieht ziemlich übel aus. Naomi zeigt mir, wie man die offensichtlichsten Mängel kaschiert, wenn das nicht mehr geht, soll ich das Huhn beiseitelegen, dann wird das Fleisch ausgelöst und zu Kebabs verarbeitet. Wenn eins total hinüber ist, soll ich es wegschmeißen.
Du ahnst ja wohl, was in mir vorgeht, wenn ich Fleisch wegschmeißen soll. Ich muss andauernd an mein hungriges Monster denken. Aber keine Sorge, mir fällt schon was ein. Komisch, wie verschieden Hühner sind. Im Supermarkt sehen sie alle gleich aus, stimmt’s? Aber hier sind manche dick und wabbelig und manche mager und sehnig. Die Farbskala reicht von hellgelb bis zu eklig lila. Wenn die Hühner die Fabrik verlassen, sehen sie irgendwie künstlich und eins wie das andere aus, man legt sie einfach in die Einkaufstasche und kommt gar nicht auf die Idee, dass sie mal lebendig waren.
In der Mittagspause richte ich es so ein, dass ich mit der Hübschen an einem Tisch sitze. Ich bitte sie um Feuer, aber sie hat keins. Dabei kann ich ihr Gesicht aus der Nähe betrachten. Es ist breiter, als ich dachte, was mich eher abtörnt. Ihre Augen liegen weit auseinander, darum wirkt sie, als ob sie über allem drübersteht. Sie hat eine |92| kleine Nase und einen hübschen Mund. Ich gebe ihr acht von zehn Punkten, aber eigentlich kann ich sie nicht richtig einschätzen, weil sie zu viel anhat.
Ihre käsige Kollegin gibt mir Feuer, ich esse Fritten, rauche dabei und schiele verstohlen zu dem Mädchen rüber. Käsegesicht sagt »Josie« zu ihr und ich überlege, ob das ein Spitzname oder eine Abkürzung ist.
»Schweinefraß, was?« Stephen, der begnadete Anbaggerer.
»Mhm.« Sie nickt mir zu und spachtelt weiter. Das ist, nebenbei bemerkt, kein gutes Zeichen. Selby meint, wenn eine Frau isst, obwohl du ihr zusiehst, ist sie eindeutig nicht an dir interessiert. Frag mich nicht, warum. Ich weiß auch nicht, ob für Männer dasselbe gilt. Soll ich weiter Fritten futtern? Ach, was soll’s. Ich bin zu hungrig für solchen Quatsch.
Wie sich herausstellt, ist es gar kein Problem, ein paar vergammelte Hühner einzustecken. Wie schon am ersten Tag sind abends die meisten gegangen. Bis auf ein paar Studenten, denen es egal ist, was ich mache, bin ich im Hühnerraum allein. Ich nehme einen unbenutzten Müllsack, stopfe zwei Hühner rein und werfe mir den Sack über die Schulter. Wenn jemand fragt, behaupte ich einfach, ich bringe sie zum Verbrennen. Aber keiner achtet auf mich.
Ich werfe den Müllsack in meinen Kofferraum. Mir wird klar, dass ich das jeden Tag machen kann, wenn ich mich nicht erwischen lasse. Auf die Art wird das Monster noch größer.
Mein Auto springt nicht an. Wenn ich den Zündschlüssel |93| drehe, tut sich gar nichts. Ich merke, dass ich das Licht angelassen habe. Es war neblig heute
Weitere Kostenlose Bücher