Beastly (German Edition)
ruinieren. Aber ich konnte sie ja schlecht draußen stehen lassen, deshalb eilte ich zur Tür und öffnete sie. Ganz langsam. Um sie nicht zu erschrecken.
Im Morgenlicht bemerkte ich noch deutlicher als am Abend zuvor, dass sie mich nicht anschaute. War ich so abscheulich, dass ihr mein Anblick Qualen bereitete, wie z. B. ein Foto von einem grausigen Tatort? Oder wollte sie nur höflich sein und mich nicht anstarren? Ich glaubte, dass sie ihren Hass auf mich überwunden hatte und mich stattdessen bemitleidete. Aber wie konnte ich ihr Mitleid in Liebe verwandeln?
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich. Ich führte sie ins Zimmer, berührte sie dabei jedoch nicht. »Ich habe mich neben dem Gewächshaus eingerichtet.«
Ich hatte einen dunklen Holztisch an die Glastür gerückt, die hinausführte. Ich zog einen Stuhl hervor, damit sie Platz nehmen konnte. In meinem früheren Leben hätte ich das nie für ein Mädchen getan.
Aber sie war schon an der Tür. »Oh! Das ist so wunderschön. Darf ich hinausgehen?«
»Ja.« Ich war schon hinter ihr und griff nach dem Riegel. »Bitte schön! Ich hatte noch nie zuvor einen Besucher und habe meinen Garten immer nur mit Will und Magda geteilt. Ich hoffte…«
Ich unterbrach mich. Sie war schon hinausgegangen. Um sie herum erklangen Vivaldis Streicher, die gerade den »Frühling« spielten, als sie zwischen all die Blumen trat.
»Es ist herrlich! Riech doch mal – du hast einen solchen Reichtum in deinem Zuhause!«
»Es ist auch dein Zuhause. Du kannst jederzeit hierherkommen.«
»Ich liebe Gärten. Nach der Schule ging ich immer zu den Strawberry Fields im Central Park. Dort konnte ich stundenlang sitzen und lesen. Ich wollte gar nicht mehr nach Hause gehen.«
»Das verstehe ich. Ich wünschte, ich könnte zu diesem Garten gehen. Im Internet habe ich Bilder davon gesehen.« Und ich war in meinem früheren Leben tausendmal daran vorbeigegangen. Ich hatte ihn kaum eines Blickes gewürdigt. Nun sehnte ich mich danach, dorthin zu gehen, und konnte nicht.
Sie kniete an einem Beet Minirosen. »Sie sind so edel.«
»Mädchen mögen immer kleine Dinge, nehme ich an. Ich bevorzuge die Kletterrosen. Sie streben immer nach dem Licht.«
»Die sind auch schön.«
»Aber diese hier…« Ich kniete mich hin, um auf eine hellgelbe Minirose zu zeigen, die ich vor etwas mehr als einer Woche gepflanzt hatte. »Diese hier heißt ›Little Linda‹.«
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. »Haben alle deine Blumen einen Namen?«
Ich lachte. »Nicht ich habe sie so genannt. Wenn ein Gärtner eine neue Rosensorte züchtet, gibt er ihr einen Namen. Und diese hier heißt zufällig ›Little Linda‹.«
»Sie ist so perfekt, so zart.« Sie streckte ihre Hand nach der Rose aus und stieß dabei gegen meine. Ich fühlte, wie ein elektrischer Schlag meinen Körper durchzuckte.
»Aber stark.« Ich zog meine Hand weg, bevor sie sich davor ekeln konnte. »Manche der Minirosen sind kräftiger als die Teerosen. Soll ich einige für dein Zimmer schneiden, weil sie deine Namensschwestern sind?«
»Es wäre schade, sie abzuschneiden. Vielleicht…« Sie hielt inne und hielt eine kleine Blüte mit zwei Fingern.
»Was?«
»Vielleicht komme ich wieder, um sie mir anzuschauen.«
Sie sagte, sie würde wiederkommen. Aber sie sagte auch »vielleicht«.
In diesem Augenblick kam Will dazu.
»Raten Sie mal, wer da ist, Will.«, sagte ich, so als hätte ich ihm gar nichts davon gesagt. »Lindy.«
»Wunderbar«, sagte er. »Herzlich willkommen, Lindy. Ich hoffe, du bringst ein bisschen Leben in die Bude hier. Es ist ziemlich langweilig nur mit Adrian.«
»Dazu gehören immer zwei«, sagte ich.
Dann sagte er, wie ich erwartet hatte: »Wir besprechen heute Shakespeare-Sonette. Ich dachte mir, wir beginnen mit Nummer 54 .«
»Hast du das Buch mitgebracht?«, fragte ich sie. Als sie den Kopf schüttelte, sagte ich: »Wir könnten warten, bis du es geholt hast. Oder Will? Oder möchtest du bei mir mit reinschauen?«
Ihr Blick hing noch immer am Rosengarten. »Oh, ich denke, wir können gemeinsam hineinschauen. Ich bringe mein Buch morgen mit.«
Sie hatte »morgen« gesagt.
»Also gut.« Ich schob das Buch hinüber, sodass es näher bei ihr als bei mir war. Ich wollte nicht, dass sie dachte, ich wollte sie anmachen. Aber trotzdem war ich ihr näher denn je. Ich hätte sie ganz einfach berühren können, und es hätte wie zufällig gewirkt.
»Adrian, möchtest du es laut vorlesen?«, fragte
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