Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
wische mir die Hände an einem sauberen Küchentuch ab. »Hast du PJ gefunden?«
»Sie hat mich angechattet!«
»WAS?«, kreische ich. »Sie hat was?«
Alex poltert die Treppe in einem schwingenden Minirock mit Fransen, brauner Strumpfhose und Stiefeln sowie einem weißen, in der Taille gegürteten Bouclé-Pulli herunter. Ihre Haare sind noch immer feucht und sie hat erst ein Auge geschminkt. Mir entgeht nicht, dass Jay trotz seiner Aufregung ihr figurbetontes Outfit zur Kenntnis nimmt.
»Was habe ich verpasst?« Sie hat noch den Kajal in der Hand.
»PJ«, sagt Jay atemlos. »Sie hat mich angechattet. Du weißt doch, dass man auf Gchat unsichtbar bleiben kann? Sie war unsichtbar. Ich ...« Er unterbricht sich und setzt noch mal neu an. »Ich war in der Bibliothek, um ein bisschen was über die Gegend zu recherchieren. Ich habe in den Internetarchiven was über verschiedene Künstler gelesen und hatte dabei mein GMail offen. Plötzlich hat es gepiepst, weil mich jemand angechattet hat. Das war PJ!«
»Oh mein Gott!«, sage ich. Das ist allerdings krass. Ebenfalls krass ist, dass die Bibliothek überhaupt an Silvester offen hat. Die Franzosen machen nämlich an Feiertagen sonst gern alles dicht. Ich finde diese Tradition ja ganz charmant, auch wenn es viele Amerikaner nervt, wie zum Beispiel Alex, die gern einen Rund-um-die-Uhr-Lifestyle mag, trotz ihrer geerbten Frankreichliebe.
Meiner Meinung nach bietet das Leben nicht allzu viele Chancen, einen Tag mal total zu relaxen - warum also dagegen aufbegehren? »Wo ist sie?«, frage ich.
Jay schüttelt den Kopf. »Das wollte sie mir nicht sagen!«
»Was hat sie denn gesagt?«, will Alex wissen. »Jay, erzähl schon, was sie gesagt hat!«
Jay zieht sich die Mütze vom Kopf. Langsam kehrt wieder etwas Farbe in sein Gesicht zurück. Er hat sich seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert und mittlerweile dichte, dunkle Stoppeln an den Wangen und am Kinn. Ins Lycée ist er immer völlig glatt rasiert gekommen. Er scheint langsam zu verwahrlosen.
»Okay«, fährt Jay fort. »Sie schreibt also: >Jay, bist du da?< Und ich schreibe: >PJ! Ich bin hier. Wo bist du? Was kann ich tun?<«
Sosehr ich PJ ebenfalls finden und nach Paris zurückbringen will, ist das dann doch etwas zu viel. Selbst für mich. Und ich habe wirklich eine ziemlich hohe Toleranz für Schnulziges.
»Sie hat nicht zurückgeschrieben, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass sie noch da ist. Und dann hat Gchat mir mitgeteilt, dass sie noch schreibt, also habe ich dagesessen und gewartet und gewartet. Immer wieder hieß es: >Penelope tippt ...<, aber es dauerte und dauerte. Der Artikel, den ich mir direkt davor online angesehen habe, war über diesen Typen namens Toulouse-Lautrec, aus Toulouse, nicht weit von hier - sagt der euch was?«
Ich schüttle den Kopf. Alex nickt wissend. Genau wie ich lauscht sie gebannt jedem seiner atemlosen Worte. Aber in meinem Fall durchlaufe ich dabei mehr als eine Folterqual.
»Na ja, ich hab mir also den Titel des Artikels in dem verkleinerten Browserfenster angesehen und ich plötzlich: >Toulouse! Bist du in Toulouse?< Also, ich meine, das habe ich PJ geschrieben.«
»Und?«, fragen Alex und ich wie aus einem Mund.
»Und sie schreibt zurück: >Ich wünschte, du wärst hier.<«
Ich schaue zu Jay, dann zu Alex und dann wieder zu Jay. »Was soll das bedeuten? Wo ist sie?«
»Sie ist in Toulouse!«, ruft Alex.
»Ich hab sie wieder gefragt: >Bist du in Toulouse?<, aber da kam: >Penelope ist offline. Chats werden via E-Mail geschickt Und sie hat sich auch nicht wieder angemeldet.«
»Was?« Ich bin total verwirrt.
Alex geht es nicht anders. »Das heißt also, sie ist in Toulouse, oder nicht?« Ich kann es kaum glauben, aber in Alex'
Augen spiegelt sich echte Angst. So besorgt habe ich sie wegen PJ noch nie gesehen.
»Ich weiß es nicht! Denn ich weiß nicht, ob sie das davor oder danach geschrieben hat, als ich sie wegen Toulouse gefragt habe! Und dann hat sie sich so schnell ausgeloggt.«
»Verdammt, ich werde nach Toulouse fahren«, sage ich überzeugt. »Ja, lasst uns hinfahren. Gleich heute Abend. Wenn sie an Silvester in Toulouse ist, glaubt ihr nicht, dass wir sie dort sehen werden? Ist das nicht die beste Nacht im ganzen Jahr, in der man jemandem zufällig auf der Straße über den Weg laufen kann?«
Alex nickt. »Es wäre schön, in Toulouse zu feiern ...«
Ich kann fast sehen, wie es in ihrem Kopf rattert, aber ich komme nicht dahinter, was um alles in
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