Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
war?
Ich schnappe mir meinen Mantel und steuere auf die Tür zu. Der Türsteher hält mich auf und lacht mich an. »Attendez! II est minuit!«
»Dix, neuf, huit ...« Ich kann hören, wie alle gemeinsam die Sekunden bis Mitternacht runterzählen. Ich renne aus dem Klub in die klirrend kalte Nacht hinaus.
In wenigen Sekunden beginnt das neue Jahr. Aber ich frage mich, ob sich wohl jemals etwas ändern wird.
9 • OLIVIA
Die ersten Vorboten
Von der Seitenbühne des verschnörkelten Theaters aus, das um 1890 in Montmarte erbaut wurde, kann ich Katica im Zuschauerraum sehen, aber nicht Thomas. Das ist wahrscheinlich ganz gut so ... Ich könnte mich sonst vielleicht nicht konzentrieren, wenn ich wüsste, wo er in der Menge sitzt.
»Los!«, zischt Henri mir zu, als sich der Vorhang nach der koketten Kabarett-Nummer vor uns senkt. Im Stockdunkeln finde ich meine Position, und als der Vorhang sich wieder hebt, existieren nur noch ich und mir gegenüber André, beide in den hellen Schein unseres jeweils eigenen Spotlichts getaucht.
Kiki fängt tief und leise an zu singen. Ihre Stimme hallt durch den Zuschauerraum, während wir zum allmählichen Crescendo ihrer Stimme langsam tanzen. Alle im gesamten Raum scheinen den Atem anzuhalten. Kikis Stimme könnte Berge versetzen.
Ich habe die Choreografie nun fast eine ganze Woche lang zehn Stunden pro Tag geprobt. Inzwischen kenne ich sie im Schlaf. Statt in Schritten und acht Counts zu denken, bewege ich mich gemeinsam mit André, als wäre dieser Ablauf für uns so natürlich als ob wir einfach laufen würden. Ich komme dabei nicht mal wirklich ins Schwitzen. Einmal, als ich Andrés Blick begegne, lächle ich sogar ein ganz kleines bisschen.
Als wir fertig getanzt haben, erhebt sich tosender Applaus. Durch irgendeinen glücklichen Zufall waren wir als Letztes dran, und in einer halben Stunde werden sich die Leute, die sich Tickets für die Aufführung gekauft haben, zu einer Benefiz-Silvester-Feier im Ballsaal versammeln, Getränke inklusive und mit zwei langen Buffettischen mit Shrimp-Cocktails und anderem dekadenten festlichen Essen. Auf so eine extreme Chi-Chi-Feier war ich bisher noch nie eingeladen. Ich bin total aufgeregt, auch wenn meine Freunde leider noch nicht wieder da sind. Auch wenn PJ leider noch nicht wieder da ist.
Nach unserem letzten Vorhang renne ich von der Bühne, Hand in Hand mit André, und laufe geradewegs Henri in die Arme. Henri hüpft wie ein kleines Kind auf und ab und umarmt uns alle beide. »Vous étiez fantastiques!«, ruft er. »Très, très joli!«
Ich stoße einen kleinen Freudenschrei aus, als ich in einer geschmeidigen Bewegung vom Boden hochgehoben werde, weg von André und Henri und in die Arme des Menschen, mit dem ich diesen wunderbaren Augenblick am allerliebsten teilen möchte.
Thomas ist überwältigt. »Olivia«, sagt er mit seinem umwerfenden französischen Akzent. »Das war ... wirklich und echt... nicht von dieser Welt.«
Ich weiß, was er meint. »Merci beaucoup, mon ami«, sage ich kokett. »Ich freue mich, dass es dir gefallen hat.«
Henri und André kommen zu uns rüber und stellen sich Thomas vor, und dann drückt Kiki mir zwei Küsse auf die Wangen und sagt mir, dass es für sie eine Ehre war, mich gesanglich zu begleiten. In meinen ganzen sechzehn Jahren habe ich mich noch nie so kompetent, so gut mit dem gefühlt, was ich tue, so unsagbar glücklich. Und so herzlich von einem französischen Publikum, einem Pariser Publikum aufgenommen zu werden ... darauf warten einige Ballerinas ihr ganzes Leben lang.
Ich wünschte nur, meine Eltern und Brian hätten dabei sein können. Dann würden sie wirklich verstehen, warum ich hier in Paris geblieben bin. Mit einem Stich im Herzen wird mir klar, dass ich auch wirklich gern meine Freunde hiergehabt hätte, damit sie diese Seite von mir ebenfalls kennenlernen.
Ich hatte um vier Tickets für die Revue-Bohème-Aufführung und die Silvesterfeier gebeten, als ich noch gedacht hatte, dass Jay, Zack, Alex und hoffentlich auch PJ bis dahin wieder hier sein würden. Als ich von Alex erfuhr, dass sie in Montauban bleiben würden, hatte ich die Eintrittskarten an Thomas weitergegeben und ihn gebeten, Inès, Remy und Xavier zur Aufführung einzuladen.
Thomas lässt eine Flasche Sekt Brut knallen und hebt das sprudelnde Getränk hoch über uns in die Luft. »Auf Olivia!«, verkündet er. »Heute Nacht feiern wir dich.«
Ich ziehe mich um und schlüpfe in ein rotes Jerseykleid mit
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