Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
Angorawolle in die Nase bekomme. »Ich verzeihe dir. Ach, Alex. Natürlich verzeihe ich dir.«
»Ich würde dir niemals wehtun wollen«, sagt Alex.
Wirklich ? Aber so ist Alex nun mal: Man ist bei ihr nie vor Überraschungen gefeit. Trotzdem fühle ich mich schlecht, dass ich das Vertrauen in sie verliere. Nach allem, was wir in diesem Herbst durchgemacht haben - und erst in den letzten Wochen -, kann ich sehen, dass sie sich verändert. Sie entwickelt stärkere Werte. Vielleicht entwickelt das Mädchen ja langsam sogar ein Gewissen. Vielleicht.
Auf halber Höhe kommen wir an einem geschlossenen Touristenbüro vorbei. Obwohl es nun dunkler und damit auch gefährlicher auf dem Wanderweg wird, gehen wir weiter. Immer wieder rutschen Alex und ich aus und fallen in den Matsch, sodass unsere Jeanshosen schmutzig werden, aber wir bleiben nicht stehen, um uns gegenseitig aufzuhelfen. Wir gehen stur immer weiter. Ich merke Alex an, dass sie sich in den Arsch beißt, oder zumindest hoffe ich das. Diese Montségur-Idee dürfte eine ihrer verrücktesten Ideen bisher gewesen sein.
Jay wartet ganz oben auf uns, vor einer modrigen Holztreppe, die zum Eingangsportal führt. Er sieht ein bisschen nervös aus, aber gleichzeitig auch attraktiv und mutig. Von der Wanderung hat er gerötete Wangen. Er nimmt seine Mütze ab und wischt sich damit über die Stirn. »Was jetzt?«, fragt er.
»Können wir da überhaupt rein? Es sieht so aus, als wäre es abgesperrt und schon seit tausend Jahren gottverlassen!«, sage ich.
»Keine Angst«, meint Alex und rauscht an uns vorbei. »Auch wenn es vielleicht gottverlassen ist, können wir trotzdem rein. Kommt.« Sie zieht rasch eine Taschenlampe aus ihrer Tote Bag. »Gut, dass ich an die gedacht habe.«
»Du warst bestimmt bei den Pfadfindern, oder, Zack?«, fragt Jay mich. »Du hast doch Ahnung von so was?«
Ich nicke, auch wenn ich noch nie bei irgendwelchen Pfadfindern gewesen bin, und wenn irgendetwas Wandern und Zelten noch am Nächsten kommt, dann waren das die kirchlichen Erweckungscamps, bei denen der Pfarrer die Teenies nie lange genug aus den Augen ließ (viiiel zu riskant!), als dass wir Gelegenheit gehabt hätten, uns mal allein in der freien Natur zurechtzufinden.
»Toll«, sagt Jay. »Alex, du wartest hier.«
Alex öffnet empört ihre von Lipgloss schimmernden Lippen und starrt Jay an. »Du lässt mich - das einzige Mädchen - hier allein, um für euch Jungs Schmiere zu stehen? Kommt nicht infrage. Zack soll Wache schieben.«
»Vielleicht hat sie recht. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihr was passieren würde«, sagt Jay - ein Kommentar, auf den ich im Moment gut und gern hätte verzichten können. »Also, bleibst du hier und passt auf?«
Ich seufze, wohlwissend, dass ich nicht wirklich eine Wahl habe. »Klar.«
Jay nickt und schaut sich ein letztes Mal um. »Gut, Mann. Ruf uns, wenn du irgendwas siehst, sei es auch noch so schemenhaft. Mir gefällt der Ort hier nicht besonders.«
»Mach ich«, verspreche ich. »Aber beeilt euch.«
Ich höre, wie sie schnell davongehen. In der Ferne zerreißt Alex' schrilles Kichern die Dunkelheit. Schaudernd frage ich mich, was eigentlich unheimlicher ist: dass Jay Alex zum Lachen bringt oder dass die beiden sich immer weiter und weiter von meinem Wachposten entfernen.
»PJ?«, flüstere ich, während ich wärmend meine Hände in den Handschuhen aneinanderreibe. »Versteckst du dich hier irgendwo, Mädchen? Wenn ja, dann zeigst du dich besser bald. Es ist nämlich verdammt kalt hier.«
Nach wenigen Minuten höre ich keinen einzigen Laut mehr. »Du bist nicht da drin, PJ. So dumm, wie Alex denkt, bist du nicht. In den Ruinen von Montségur zu campen. Ha.«
Am Himmel steht ein großer, hell scheinender Mond. Aber ohne irgendwelche Stadtlichter, die auf uns niederscheinen, ist es trotzdem verdammt dunkel. Ich zittere unaufhörlich - aus Angst oder weil mir kalt ist. Ich bin mir da nicht so ganz sicher.
»Ach, PJ«, sage ich. Ich habe ein ungutes Gefühl, so als ob mich jemand mit einem Nachtsichtgerät beobachtet, wie der Killer es in »Das Schweigen der Lämmer« macht. Wenn ich laut rede, auch wenn es nur Selbstgespräche sind, nimmt mir das meine Nervosität ein kleines bisschen. »Ich hoffe wirklich, dass es dir gut geht.« Von der Rückseite der Burg von Montségur Ausschau zu halten und die schwachen Lichter aus dem Dorf und den wenigen anderen Dörfern dahinter zu sehen, lässt die Welt riesengroß erscheinen. Warum sind
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