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Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Titel: Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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bin.«
    »Okay, gut«, sagt Annabel. »PJ, bitte versuch mich zu verstehen. Ich fühle mich furchtbar deswegen, aber wir können neu anfangen. Wir schaffen das!«
    Lange betrachte ich sie einfach nur. Ihr Gesicht sieht meinem noch immer ähnlich. Vielleicht hat sie recht. Wir haben beide unsere Fehler gemacht. Und wir müssen beide nach vorne sehen.
    »Ich werde auf dem Dachspeicher schlafen«, ist alles, was ich sage.
    »Danke«, flüstert sie. »Ich hab dich lieb.«
    Als wir aus dem Badezimmer kommen, sitzt Marco nicht mehr auf der Couch. Die Schlafzimmertür steht offen. Marco schläft mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett. Er ist bis auf seine schwarze Unterhose nackt. Annabel wirft mir einen glücklichen und dankbaren Blick zu.
    Seufzend klettere ich die Leiter zu dem staubigen Dachspeicher hoch.
    Als ich am Morgen aufwache, ist die Schlafzimmertür geschlossen. Ich ertrage das nicht länger. Ich muss hier raus. Ich hinterlasse einen Zettel für Annabel und gehe in den frischen, kalten Morgen hinaus. Es ist ein gutes Gefühl, nicht mehr in dem engen, stickigen Apartment zu sein. Nur ein kleines Stückchen die Straße hinunter kommt der Weg, der direkt an der Seine entlangführt, ein parkähnlicher Pfad, auf dem man Fahrrad fahren und joggen kann. Dort sind auch Bänke und kleine Anlegestellen für Hausboote und Kähne, ähnlich wie in Paris. Allerdings könnte das Seine-Ufer in Rouen auch irgendwo anders sein. In Paris dagegen weiß man immer, dass man in Paris ist.
    Annabel ist drei Jahre älter als ich und war von Anfang an, seit sie das Licht der Welt erblickt hat, ein Wildfang. Meine Eltern haben sie abgöttisch geliebt und maßlos verwöhnt. Bei Dingen, bei denen Annabel sofort laut geschrien hat, wie meine Mom uns immer gern erzählt hat, war ich dagegen eher still, mit einem staunenden Ausdruck im Gesicht. Vom Tag meiner Geburt an hat mich Annabel unter ihre Fittiche genommen, so als wäre sie meine Mutter. Sie hat versucht, mich aus der Krippe raus- und mit in ihr Bettchen zu nehmen, als wäre ich ihre Puppe. Als ich noch sehr klein war, hat sie mir immer meine blonden Haare abgeschnitten und einzelne Locken im Kissenbezug aufbewahrt. Vor den anderen Kindern in der Schule hat sie mich immer beschützt und darauf geachtet, dass ich nie mit jemandem spielte, den sie als unwürdig erachtete.
    Als Teenager ließ Annabels Temperament zwar nicht nach, aber ihr Augenmerk verschob sich: Sie mochte die Schule nicht so sehr, wie sie das Lesen liebte, und so arbeitete sie sich durch alle Bücher, die meine Eltern besaßen. Sie liebte die Musik, wollte aber nur auf der Gitarre herumklimpern, nie Unterricht nehmen. Sie wollte es sich selbst beibringen. Und als sie Dave kennenlernte, der ein paar Jahre älter war als sie - er war siebzehn, sie vierzehn -, hat sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Wie Dave, der die Schule ebenfalls nicht auf die Reihe bekam, hat sie sie mitten in der elften Klasse abgebrochen - meine jetzige Klassenstufe.
    Und ich bin jetzt wohl auch eine Art Schulabbrecherin, mutmaße ich, als ich mich auf einer Bank niederlasse und die Knie bis zum Kinn hochziehe. Es ist wahr. Seit ich aus dem Lycée abgehauen bin, bin ich keine Schülerin mehr. Und das macht mich, zumindest in den Augen der Schule, wenn nicht gar in den Augen der Gesellschaft, zu einer Schulabbrecherin.
    Ich atme tief und langsam ein, blicke lange auf die schnell dahinfließende Seine und versuche mir vorzustellen, meine ganzen schlechten Gefühle würden wie das Wasser wegströmen, bis nach Paris. Und bis zum Mittelmeer.
    Fröstelnd stecke ich meine bloßen Hände in die Jackentaschen, um sie zu wärmen. Da ertaste ich ein kleines Stück Papier - eine Visitenkarte. Ich ziehe sie heraus und lese: Binet Nagou. Die Sozialarbeiterin mit dem Lockenkopf vom Bahnhof. Sie war so unglaublich nett gewesen.
    Traurig blicke ich auf die Karte. Uns kann im Moment keiner mehr helfen. Wir haben niemanden, an den wir uns wenden können.
    Ich beuge mich über das Geländer, lasse das kleine rechteckige Papier los und sehe zu, wie es vom Wind ergriffen wird und eine Zeit lang über dem Wasser dahinschwebt, bevor es verschwindet.
    Ein paar Stunden später steige ich mit schweren Einkaufstüten die Stufen zu Annabels Dachgeschosswohnung hinauf. Ich rümpfe die Nase, so abgestanden ist die Luft in dem Gebäude. Durch mein plötzliches Wohlwollen, meinen Wunsch, alles zum Guten zu wenden, reift in mir die Idee, die Wohnung zu putzen, nachdem ich

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