Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
typisch für Annabel. Ich bin sauer auf sie, und trotzdem mache ich ihre Wäsche. Eine Weile später höre ich Marco und Annabel gehen. Ich komme aus dem Schlafzimmer und esse etwas Brot und Käse. Zum Nachtisch schneide ich mir eine Orange auf. Ich habe keine Lust, in mein Notizheft zu schreiben. Auch nicht, irgendeines der Bücher zu lesen, die hier von Annabel rumliegen, und ganz sicher habe ich keine Lust, Annabels Wohnung weiter aufzuräumen. Ich starre ins Leere, während es wieder dämmert und im Apartment dunkel wird, und frage mich, wie alles so weit kommen konnte.
Ich kann nicht fassen, dass meine Schwester irgendeinem widerlichen Spanier freien Zugang zu unserem kleinen sicheren Zufluchtsort erlaubt hat.
Wie in der Nacht zuvor falle ich im Dachspeicher in einen unruhigen Schlaf, schlage mich mit der Frage herum, in welche Schwierigkeiten Annabel mit Marco kommen könnte. Die Möglichkeiten, scheint es, sind schier endlos.
Mitten in der Nacht wache ich auf. In der Wohnung ist alles dunkel, aber Annabel und Marco sind heimgekommen. Das merke ich an dem Geruch nach Rauch und Zwiebeln, einem Geruch, den ich irgendwie mit Marco verbinde.
Ich schleiche mich die Leiter hinunter und schalte das Badezimmerlicht an.
Im Bad bietet sich mir ein verstörender Anblick. Ich kann kaum glauben, dass er real ist:
Im Klo schwimmt, eingeweicht in frischem, schäumendem Urin, meine grüne handgestrickte Mütze.
15 • ALEX
Vaterfigur
Ich öffne hinten im Auto das Fenster einen Spaltbreit, damit frische Luft hereinkommt, und ziehe mir meine warme Fellmütze tiefer in die Stirn. Die Mütze ist das beste Andenken an meinen Vater, das ich je bekommen habe. Mir wird immer schlecht, wenn ich hinten im Auto sitze, und das weiß Zack auch ganz genau. Aber nachdem er auf unserer letzten Dreier-Exkursion so offensichtlich selbstmordgefährdet war - wir haben ihn am Fuß des Montségurs gefunden, völlig aufgewühlt -, habe ich vorgeschlagen, dass er heute fährt und Jay sich auf den Beifahrersitz setzt.
Draußen zieht die französische Landschaft vorbei, während wir gen Süden an die Küste fahren, in Richtung Cannes. Je näher wir der Riviera kommen, desto mehr verändert sich die Flora - weniger Wald und mehr Palmen. In mir steigt Schwindel auf. Ich weiß, eigentlich sollte es mir nicht egal sein, dass wir auf der sinnlosen Suche nach einer unglückseligen Blondine sind, die unsere Hilfe nicht mal möchte. Es ist schön, eine Mission zu haben, und man muss sich uns nur ansehen - wie Bohemiens klappern wir ganz Frankreich ab. Es ist echt großartig!
Montauban war eine Pleite, ja. Toulouse hat uns auch nicht weitergebracht, außer dass wir gut angeschickert waren. Und die Ruinen von Montségur haben uns dann endgültig in einem großen kalten Nichts zurückgelassen. So viel zum Heiligen Gral. Aber ich musste etwas vorschlagen, um Jays Hoffnungen am Leben zu halten. Solange er glaubt, dass er PJ finden kann - dass sie ist, was er will -, kann ich mich damit beschäftigen, was er wirklich braucht.
Deswegen hatte ich die geniale Idee, wir sollten nach Cannes fahren. Wenn PJ überall sein kann, warum dann nicht dort? Zack war viel leichter zu überzeugen als Jay, aber in Ermangelung eines Gegenvorschlags hat er dann schließlich doch zugestimmt. Also haben wir heute Morgen unsere Sachen gepackt und sind losgefahren.
Natürlich hatte ich meine Beweggründe, warum ich Cannes vorgeschlagen habe. Als meine Mom nach Paris gezogen ist und meinen Dad in einem Klub am Rive Gauche kennengelernt hat, haben sie sich total ineinander verknallt und sie ist eine Woche später in seine Wohnung in der Rue de Miromesnil im 8. Arrondissement gezogen. Innerhalb eines Monats war sie mit mir schwanger. Mein Vater war so aus dem Häuschen, weil er sich fortgepflanzt hatte (das Baby war schließlich ICH!), dass er ihr eine Suite im Grand Palace Hotel in Cannes gebucht hat.
Wie schon zu erahnen, lief es leider nicht allzu gut. Aber ich weiß, dass Cannes ein magischer Ort ist, einer, an den meine Mom immer wieder gern zurückkehrt. Wenn wir dort sind, weichen ihre Bitterkeit und ihr Biss, die Eigenschaften, die sie beruflich so erfolgreich und zu so einer kratzbürstigen Mutter machen, und sie wird sanfter. So gern meine Mom noch immer nach Cannes fährt, um für die Luxe über die Filmfestspiele zu berichten oder alte Freunde zu besuchen oder einfach mit mir einen kleinen Urlaub zu machen, kann sie es nicht ertragen, im Grand Palace Hotel
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