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Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Titel: Beautiful Americans 03 - Leben á la carte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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Jay das Fenster auf. Dabei sieht er weder froh noch traurig aus, auch nicht wütend, sondern nur erschrocken.
    »Bist du ... ein Geist?«, fragt er flüsternd.
    Ich schüttle den Kopf.
    »PJ?«, sagt er, so als hätte er Angst, zu glauben, was er sieht.
    Ich breche in Tränen aus.
    »Que milagro«, raunt er. »Komm her.«
    Ich gehe zu ihm. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit erscheint, bekommt meine nasse Hand die seine zu fassen. Kaum berühren sich unsere Finger, halten wir einander so fest, dass ich spüren kann, wie sich meine Fingernägel in seine Haut graben.
    Jay zieht mich durchs Fenster in sein Zimmer hinein, wobei ich mit Ellbogen und Knien an den Rahmen stoße. Dann stehe ich tropfnass auf seinem Teppich und starre ihn im Licht der Deckenlampe wortlos an. Man könnte immer noch meinen, er hätte ein Gespenst gesehen.
    Meine Zähne beginnen zu klappern - das einzige Geräusch in dem ansonsten stillen Raum -, und das weckt Jay schließlich aus seiner tranceartigen Erstarrung. Er zieht eine der Bettdecken an einem Zipfel zu sich heran und wickelt mich ein, umhüllt und umarmt mich damit.
    »Alles ist gut«, sagt er leise mit brüchiger Stimme. »Jetzt bist du ja hier bei mir. In Sicherheit.«
    Ich blicke Jay tief in die Augen und habe das Gefühl, als sähe ich nun ebenfalls einen Geist. Den Geist dessen, was uns ursprünglich vorbestimmt war.
    Jay hebt mit seinem Zeigefinger leicht mein Kinn, sodass er seine Lippen auf meine legen kann.
    »Jetzt musst du nicht mehr weglaufen«, flüstert Jay. »Nie mehr. Nunca otra vez.«
    Dann küsst er mich warm und sanft - und ich glaube ihm fast.

 
6 • ALEX
    Frischer Wind
    »Hier ist der - comment on dit? La poussette, Alex«, sagt Mme Sanxay und streicht sich ungeduldig die dunklen Haare aus dem geröteten Gesicht, während sie im Esszimmer einen Kinderwagen aus einer Ecke zieht, in der sich Gerümpel stapelt. In dem Kinderwagen liegen ebenfalls lauter Spielsachen und schmutzige Plastikflaschen. »Charles liebt besonders das Puppentheater im Jardin du Luxembourg! Dort werdet ihr viel Spaß haben.«
    Na klar doch! Charles kann ja noch nicht mal sprechen. Wie soll er denn da mitbekommen, was im Puppentheater passiert?
    »Lass les enfants eine Weile im le Jardin spielen, ja? Sie sind heute sehr aufgedreht«, fährt Mme Sanxay fort. »Sie sollten ein bisschen von ihrer Energie loswerden.«
    Was für eine maßlose Untertreibung! Also echt. Während wir so miteinander sprechen, spielen Albert und Emeline (ja, ich habe ihre Namen schließlich doch noch gelernt) ziemlich stürmisch Bockspringen, und zwar direkt vor einem Disneyfilm mit schrillen Stimmen, die französisch synchronisiert sind. Beiden Kindern läuft klebriger roter Saft vorne über die weißen Hemden der Schuluniform. Das war ja mal wieder klar! Natürlich haben sie Kartoffelchips mit Paprikageschmack gegessen - das riecht man überall im ganzen Raum. Seit ich die Wohnung heute betreten habe, haben mich die Kids links liegen lassen. Hin und wieder ziehen sie sich gegenseitig kräftig an den Haaren, als wollten sie sich diese an den Wurzeln ausreißen. Davon abgesehen, scheinen sie sich aber prächtig zu amüsieren.
    Ich schließe die Augen und rede mir ein, dass es nur aufwärts gehen kann. Es sind nun schon ein paar Wochen um, und alles ist ein bisschen besser geworden, oder?
    In den ersten Tagen habe ich eigentlich nur stocksteif dagesessen und die beiden Älteren wild herumtoben lassen. Ich habe mich weder bemüht, einzugreifen und ihr Verhalten zu ändern, noch mit ihnen in irgendeiner Form zu interagieren. Anfassen ging sowieso gar nicht. Iih! Das Einzige, was mich davon abgehalten hat, schreiend aus der Wohnung zu rennen, war, mir immer und immer wieder vor Augen zu halten, dass die Alternative hieß: zurück nach Brooklyn. Zurück zu Jeremy und seiner Zurückweisung. Zurück als eine, die in Paris kläglich gescheitert ist. Das würde ich mir selbst nie verzeihen.
    Keine echte Französin, ja nicht mal eine halbe Französin kann in Paris scheitern. Das ist ganz und gar unmöglich.
    Nach dieser albtraumhaften Schrei-Session meines ersten Babysittertags habe ich dann beim nächsten Mal Ohrstöpsel mitgenommen. Und zwar gute. Solche, wie man sie Leuten gibt, die in der U-Bahn und auf Baustellen arbeiten. Ich musste sogar extra zu Mr. Bricolage, diesem schrecklichen Gartenbedarf- und Haushaltswaren-Markt fahren, um die zu bekommen. Nachdem ich mir die Ohrstöpsel das erste Mal reingesteckt habe, habe

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