Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
Augenbrauen hoch, aber sie ist viel zu wohlerzogen, um noch ein Wort darüber zu verlieren, dass ich SMS von einem Typen bekomme, während ich gleichzeitig drauf und dran bin, mit einem anderen zusammenzukommen.
Wer hätte das gedacht?, denke ich stolz.
* * *
Das Nouveau ist ein Rock-Klub im Erdgeschoss einer superdunklen Bar, in der es von hippen Parisern in schwarzen Jeans und stark durchgestuftem Haar nur so wimmelt. Heute Abend habe ich mich für meine geliebte indigoblaue ausgewaschene Jeans und ein waldgrünes kurzärmeliges T-Shirt mit einem weiten Kragen im Rockabilly-Stil und mit Country-Chic-Stickerei auf der Brust entschieden. Alle, die vor dem Klub auf dem Gehsteig rauchen, sind super gestylt und gehen ganz eindeutig nicht mehr auf irgendein Lycée. Viele Mädchen tragen schlappe Baskenmützen und lange Cardigans, und die Jungen haben alle Jeans an, die noch enger sind als meine. Ich halte meine Augen immer schön geradeaus gerichtet und ziehe eine leichte Schnute, um hier reinzupassen.
Ich versuche mich so zu geben, als gehörte ich hierher. Ich laufe, wie man läuft. Ich rede, wie man redet. Oder zumindest versuche ich es.
»Wow!« Olivia drückt mein Handgelenk. Sie sieht nervös aus und berührt ihr kurzes Haar. »Ganz im Ernst: wow! Guck dir das mal an!«
»Keine Sorge, Schätzchen, du gehörst sozusagen dazu«, versichere ich ihr. Aber hallo: Hier sind wir ganz sicher nicht mehr in Kansas.
Ein DJ auf einem erhöhten Podest im hinteren Teil des Klubs spielt Hard-Rock-Lieder, unterlegt mit hämmernden Beats, was zusammen eine schwindelerregend neue Musikrichtung ergibt. Auch wenn es für Pariser Verhältnisse noch recht früh ist, ist es im Klub schon ziemlich voll. »Ein Schnaps gefällig?«, fragt Olivia mich, und noch ehe ich antworten kann, steuert sie schon auf die Bar zu.
Das Seltsame in Bezug auf Alkohol in Paris ist: Niemand scheint jemals wirklich betrunken zu sein. Außer Amerikaner oder andere Touristen. Die Pariser bleiben gern bis in die Puppen auf, deshalb legen sie ein eher langsames Tempo vor und schütten sich nicht schnell die Birne zu. Vor drei oder vier ist keiner richtig besoffen. Hartes Zeug zu trinken, ist also gar nicht nötig, um dazuzugehören. Wir sind schließlich nicht auf irgendeiner Studentenparty. Wir könnten in einer Bar oder einem Klub in Paris die ganze Nacht am Wein nippen und keiner würde deshalb irgendwas Schlechtes von uns denken.
Aber Olivia befindet sich anscheinend auf einer Art Mission: Sie will auf Teufel komm raus betrunken werden, und hey: Ich werde sie nicht stoppen! Dabei ist das gar nicht typisch für sie - jedenfalls nicht für die Olivia, die ich letzten September kennengelernt habe, als wir alle nach Paris gekommen sind. Aber Paris verändert einen und bringt einen dazu, die eigene Komfortzone zu verlassen und mal etwas Ungewöhnliches zu wagen, sei es nur für eine Nacht oder für das ganze Leben.
Wir trinken Jack Daniels, und ich muss zugeben, dass es ein tolles Gefühl ist. Toller als toll. Während der Whiskey unsere Kehlen hinunterrinnt, spüre ich, wie ein bisher unbekanntes Selbstvertrauen in mir aufsteigt. Zusammen mit dem dröhnenden Bass, der den Fußboden vibrieren lässt, und dem Rhythmus, in dem sich die Tänzer um mich herum bewegen, erhitzt mich der Alkohol und weckt meine Energien, meine Lebensgeister. Ich fühle mich gleich viel lockerer, fröhlicher ... und auch ein winzig kleines bisschen weniger ängstlich und aufgeregt, gleich André zu treffen.
»Hier sind so viele Männer!«, kichert Olivia. »Und zwar ziemlich süße!«
»Ja, stimmt«, sage ich, auch wenn ich das eigentlich gar nicht richtig bemerkt habe. »Aber wieso fällt dir das überhaupt auf? Du bist doch mit deiner wahren Liebe zusammen. Darauf bin ich schrecklich neidisch.«
»Ach so, Thomas?«, sagt Olivia und rümpft die Nase. »Das ist irgendwie ... aus.«
»Was?« Ungläubig beuge ich mich zu ihr vor und verliere dabei fast das Gleichgewicht. »Wie? Wann? Was?«
»Ach, weißt du, keine große Sache.« Olivia zuckt mit ihren schmächtigen Schultern. »Lief einfach nicht mehr so gut.«
»Olivia, ihr beide wart die ganz große Sache. Ein Herz und eine Seele. Seelenverwandte. Was ist passiert?« Außerdem ist es aus meiner Sicht seinem Einfluss zu verdanken, dass Olivia in solchen Nächten wie heute doch mal einen hebt. Thomas kippt sich nämlich freizügiger als manch anderer seiner Pariser Altersgenossen das eine oder andere Bier hinter die
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