Beautiful Losers
empfing sie mit feurigem, glasigen Blick und zerbissener Zunge die »Viatique du Corps de Nôtre-Seigneur Jésus-Christ«. Sie lag nun sichtbar im Sterben. Viele in der gebannt wartenden Menge wünschten sich, in den Gebeten des scheidenden Mädchens verewigt zu werden. Pater Cholenec fragte sie, ob sie bereit sei, jeden einzeln zu empfangen. Ihr Leiden war so groß, dass er sie nur ganz leise und vorsichtig fragte. Sie lächelte und sagte ja. Den ganzen Tag hindurch traten sie mit allem, was auf ihnen lastete, an die Matte des Mädchens.
– Ich bin auf einen Käfer getreten. Bitte für mich.
– Ich habe den Wasserfall mit Urin beleidigt. Bitte für mich.
– Ich bin über meine Schwester gestolpert. Bitte für mich.
– Ich habe geträumt, ich wäre weiß. Bitte für mich.
– Ich habe das Reh zu langsam sterben lassen. Bitte für mich.
– Ich sehne mich nach einem Stück Menschenfleisch. Bitte für mich.
– Ich habe meine Peitsche aus Gras gemacht. Bitte für mich.
– Ich habe das Gelbe aus einem Wurm gedrückt. Bitte für mich.
– Ich habe versucht, mir einen gesalbten Bart stehen zu lassen. Bitte für mich.
– Der Westwind hasst mich. Bitte für mich.
– Ich bin schuld, dass das Korn vom letzten Jahr verdorben ist. Bitte für mich.
– Ich habe den Engländern meinen Rosenkranz überlassen. Bitte für mich.
– Ich habe einen Schurz beschmutzt. Bitte für mich.
– Ich habe einen Juden umgebracht. Bitte für mich.
– Ich habe Bartsalbe verkauft. Bitte für mich.
– Ich rauche Dung. Bitte für mich.
– Ich habe meinen Bruder gezwungen, zuzusehen. Bitte für mich.
– Ich rauche Dung. Bitte für mich.
– Ich habe den anderen das Singen verdorben. Bitte für mich.
– Ich habe mich beim Paddeln berührt. Bitte für mich.
– Ich habe einen Waschbären gequält. Bitte für mich.
– Ich glaube an die Kraft der Kräuter. Bitte für mich.
– Ich habe etwas Hellrotes aus einer Wunde gekratzt. Bitte für mich.
– Ich habe um eine Hungersnot gebeten, die uns Einsicht beschert. Bitte für mich.
– Ich habe meinen Rosenkranz besudelt. Bitte für mich.
– Ich bin 84. Bitte für mich.
Einer nach dem anderen kam und kniete nieder, sie zogen vorbei an ihrer gestachelten Lenin-Bahre und luden die ärmlichen Lasten ihres Geistes bei dem Mädchen ab, bis die ganze Hütte einem riesigen Zolllager voller Sehnsüchte glich, bis der Lehmboden neben ihrem Bärenfell glänzte. So viele Knie hatten ihn poliert, dass er hell leuchtete wie die Flanken des letzten und einzigen Raumschiffs, dem dereinst die Flucht aus unserer dem Untergang geweihten Welt gelingen würde. Als sich die ganz normale Nacht über das Dorf und seine Osterfeierlichkeiten senkte, rückten Indianer und Franzosen an knisternden Feuern zusammen und drückten die Finger an die Lippen, eine Geste der Stille, ein leiser, luftiger Kuss. Oh, warum überfällt mich diese Einsamkeit, wenn ich davon erzähle? Nach dem Abendgebet bat Catherine Tekakwitha um Erlaubnis, noch einmal in den Wald zu gehen. Pater Cholenec gab ihrer Bitte statt. Sie schleppte sich am Maisfeld, das unter einer schmelzenden Schneedecke lag, bis zu den duftenden Tannen und kroch durch die Puderschatten des Waldes, mit splittrigen Nägeln zerrte sie sich durch den schwachen Märzschein der Sterne, bis sie das Ufer des eisigen St.-Lawrence-Stroms erreichte, die gefrorene Wurzel des Gekreuzigten. Pater Lecompte berichtet: »Elle y passa un quart d ’ heure à se mettre les épaules en sang par une rude discipline.« Ohne die Hilfe der Freundin geißelte sie fünfzehn Minuten lang ihre Schultern, bis sie mit Blut bedeckt waren. Wir sind nun am Mittwoch der Karwoche. Es war ihr letzter Tag, dieser Tag, der dem Mysterium der Eucharistie und des Kreuzes geweiht ist. »Certes je me souviens encore qu ’ à l ’ entrée de sa dernière maladie.« Pater Cholenec wusste, dass dies ihr letzter Tag sein würde. Der Todeskampf begann um drei Uhr am Nachmittag. Catherine, auf Knien, betete mit Marie-Thérèse und einigen weiteren gegeißelten Mädchen, sie stolperte über die Namen von Jesus und Maria, es gelang ihr nicht mehr, sie richtig auszusprechen. »… elle perdit la parole en prononçant les noms de Jésus et de Marie.« Doch warum hast du nicht die genauen Laute aufgezeichnet, die sie gemacht hat? Sie spielte doch mit den Namen, sie lernte den guten Namen, sie hob die toten Äste vom Boden auf und pfropfte sie an den lebendigen Baum. Aga? Muja? Jumu? Ihr habt es
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