Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
ihre Tätigkeit nicht, um sich etwa nach stundenlangem Unkrautjäten im Küchengarten oder auf den Feldern aufzurichten und die schmerzenden Glieder zu strecken. Nein, sie verharrte dann minutenlang reglos in gebückter Stellung zwischen den Bohnenstauden oder stand mit triefenden Händen am Waschtrog, als hätte sie plötzlich vergessen, welche Arbeit sie gerade in Angriff genommen hatte, und starrte mit abwesendem Blick vor sich hin - auf die Erde, die eingeseifte Wäsche oder einen Punkt in der Ferne.
Becky rätselte, was es wohl mit Emilys seltsamem Verhalten auf sich haben mochte. Auch wunderte sie sich, dass Winston in diesen Wochen nicht ein einziges Mal aus der Haut fuhr und seine Frau zurechtwies, wenn ihre Gereiztheit ihn traf. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass Emily sich ihm gegenüber solch ein unbeherrschtes Benehmen herausnehmen würde - und er es dann auch noch tolerierte. Denn bei aller Liebe, die Winston ohne jeden Zweifel für seine Frau empfand, so hatte Becky doch schon am Tag ihrer Ankunft gesehen, dass er kein Mann war, der unter der Fuchtel seiner Frau stand. Zwar war er großherzig und von umgänglicher Natur und ging auch oft genug auf Emilys Wünsche und Vorschläge ein, aber diese Bereitschaft tat seiner Autorität keinen Abbruch. Becky wusste, dass jede wichtige Entscheidung letztlich bei ihm lag.
Und nun schien all das nicht mehr wahr zu sein. Duldsam wie ein Lamm nahm er Emilys Launen, ihre Gereiztheit und ihr absonderliches Betragen hin. Er ließ ihr alles durchgehen. Es war, als hätte er sein Rückgrat verloren und beschlossen, sich als willenloses Opfer ihrer Ruppigkeit und ihren Stimmungsschwankungen zu unterwerfen.
Anderthalb Wochen nach Beckys Geburtstag löste sich das Rätsel. Es war an einem frühen Morgen, als Becky vom Melken mit dem Milcheimer ins Haus zurückkehrte. Sie hatte sich beeilt, Mollys pralles Euter zu leeren, weil ihr ein Schwarm Stechfliegen sehr zugesetzt hatte.
»... so glücklich, meine Liebste!«, hörte sie Winston voller Überschwang sagen. »Ich habe inständig gehofft, dass es das sein würde, was dich so reizbar gemacht hat, aber ich habe dich nicht zu fragen gewagt! O Emily, wie glücklich du mich damit machst!«
Verwundert blieb Becky in der Tür stehen. Ihre Pflegeeltern hielten sich umarmt wie ein Liebespaar. Noch nie zuvor hatte sie Winston und Emily in solch einer innigen Umarmung gesehen. Und dementsprechend fremd, ja unschicklich wirkte das Bild auf sie.
Emily löste sich sofort aus Winstons Armen und strich sich mit einer verlegenen Geste die Schürze glatt. Auf ihrem leicht geröteten Gesicht lag jedoch ein ungewöhnlich weicher und zugleich doch strahlender Ausdruck.
Auch Winston strahlte vor Glück, als er sich Becky zuwandte. »Es ist ein Wunder geschehen!«, rief er. »Emily ist wieder in anderen Umständen! Dabei hatten wir doch längst die Hoffnung auf Nachwuchs aufgegeben! Im April wird es so weit sein! Ist das nicht eine wunderbare Nachricht? Aber hättest du mir nicht einige Wochen qualvoller Ungewissheit ersparen können?«
»Ich wollte mir eben ganz sicher sein, dass ich... dass ich auch wirklich guter Hoffnung bin«, sagte Emily und eine schamhafte Röte entflammte ihr Gesicht. »Und jetzt mach bitte nicht so viele Worte, Winston! Lassen wir der Natur ihren Gang und bis April ist es noch lange hin. Beten wir, dass es ein gesundes Kind wird!«
»Großer Gott, ja, das werden wir!«, bekräftigte Winston, und die Erinnerung an die beiden toten Babys, die oben auf dem Hügel begraben lagen, warf augenblicklich einen Schatten über seine Freude.
Becky beglückwünschte sie und empfand dabei eine ähnliche Verlegenheit wie Emily. Gleichzeitig spürte sie so etwas wie einen scharfen, neidvollen Stich in ihrer Brust. Es hatte lange gedauert, bis sie die Zuneigung von Winstons Frau errungen hatte. Würde von dieser Zuneigung nun vielleicht nicht mehr viel übrig bleiben, wenn Emily im Frühling ihr Kind zur Welt gebracht hatte? Und würde dann vielleicht auch Winston bloß noch Augen und Ohren für sein eigenes Fleisch und Blut haben?
Als ahnte Winston, was in ihr vorging, nahm er sie einige Stunden später zur Seite, um mit ihr unter vier Augen zu reden. »Freu dich mit uns, Becky! Es ist wirklich ein Wunder. Ich hatte doch jegliche Hoffnung auf ein Kind schon lange aufgegeben.«
»Es war wohl doch etwas voreilig, mich aufzunehmen«, sagte Becky bedrückt und mit gesenktem Blick.
»Um Gottes willen, wie kannst du
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