Bedenke Phlebas
mich nicht… ich dachte nur, du…« Sie
brach ab, legte plötzlich den Kopf zurück und fuhr sich mit
den Fingern durch ihr kurzes Haar.
»Es ist ein hübscher Gedanke, Yalson«, sagte Horza.
Yalson nickte stumm und machte sich wieder daran, an ihren Fingern zu
zupfen.
»Ich lasse dir die Wahl, Horza«, sagte sie, ohne ihn
anzusehen. »Ich kann es behalten. Ich kann es wachsen lassen.
Ich kann es in dem Stadium lassen, in dem es sich jetzt
befindet… Es liegt ganz an dir. Vielleicht möchte ich nur
keine Entscheidung treffen müssen; ich meine, ich bin nicht etwa
edel und aufopfernd, aber so ist es nun einmal. Du entscheidest. Der
Henker weiß, was für einen unheimlichen Mischling ich in
mir trage, aber ich dachte, du müßtest es wissen. Weil ich
dich gern habe und… weil… – ich weiß nicht
– weil es Zeit war, daß ich zur Abwechslung einmal etwas
für jemand anderen tat.« Sie schüttelte den Kopf, und
aus ihrer Stimme klangen Verwirrung, die Bitte um Verzeihung und
Resignation, alles gleichzeitig. »Oder vielleicht, weil ich
etwas tun möchte, das mir selber gefällt, wie
gewöhnlich. Oh…«
Er streckte ihr die Arme entgegen und trat näher. Sie kam
plötzlich auf ihn zu, umschlang ihn fest. Ihre Anzüge
machten die Umarmung schwerfällig, und sein Rücken war
verkrampft, aber er drückte sie an sich und wiegte sie sanft vor
und zurück.
»Es würde nur zu einem Viertel Kultur sein, Horza, wenn
du es möchtest. Es tut mir leid, daß ich dir die
Entscheidung aufbürde. Aber wenn du nichts davon wissen willst,
okay, dann denke ich noch einmal nach und treffe meine eigene
Entscheidung. Es ist immer noch Teil von mir, deshalb habe ich
vielleicht gar nicht das Recht, dich zu fragen. Ich möchte
wirklich nicht…« Sie seufzte schwer. »O Gott, ich
weiß es nicht, Horza, ich weiß es einfach
nicht.«
»Yalson…« – er hatte darüber nachgedacht,
was er sagen wollte –, »mir ist es schnurzegal, daß
deine Mutter von der Kultur war. Es ist mir schnurzegal, warum geschehen ist, was geschehen ist. Wenn du es auf dich nehmen
willst, dann freue ich mich. Und ob es eine Kreuzung wird, ist mir
auch schnurzegal.« Er schob sie ein wenig von sich ab und sah in
die Dunkelheit, die ihr Gesicht war. »Ich fühlte mich
geschmeichelt, Yalson, und ich bin dir dankbar. Es ist eine gute
Idee. Und, wie du sagen würdest: Zum Teufel, was
soll’s?«
Er lachte, und sie lachte mit ihm, und sie umarmten sich fest. Er
spürte Tränen in seinen Augen, obwohl er über die
Widersinnigkeit von dem allen lachen mußte. Yalsons Gesicht lag
auf der harten Oberfläche seiner Anzugschulter neben einer
Laserverbrennung. Ihr Körper zitterte leicht in ihrem Anzug.
Hinter ihnen, in dem Bahnhof, bewegte sich der Sterbende leicht.
Sein Stöhnen blieb ohne Echo in der Kälte und
Dunkelheit.
Er hielt sie noch eine kleine Weile in den Armen. Dann schob sie
ihn von sich, um ihm in die Augen sehen zu können. »Sag es
den anderen nicht.«
»Natürlich nicht, wenn du es nicht willst.«
»Bitte«, sagte sie. In dem matten Licht ihrer
Anzuglampen leuchteten der Flaum auf ihrem Gesicht und das Haar auf
ihrem Kopf wie eine dunstige Atmosphäre um einen Planeten, wenn
man ihn vom Weltraum aus sieht. Er zog sie noch einmal an sich,
unsicher, was er sagen sollte. Zum Teil war es natürlich die
Überraschung… aber dazu kam die Tatsache, daß das,
was zwischen ihnen existierte, durch diese Enthüllung soviel
wichtiger wurde, und deshalb war er mehr denn je darauf bedacht,
nicht das Falsche zu sagen, keinen Fehler zu begehen. Er durfte nicht
zulassen, daß es zuviel Bedeutung gewann, noch nicht. Es war
vielleicht das größte Kompliment, das ihm je gemacht
worden war, aber gerade seine Kostbarkeit ängstigte ihn,
verwirrte ihn. Er hatte das Gefühl, welche Kontinuität
seines Namens oder Clans die Frau ihm auch anbot, er durfte seine
Hoffnung noch nicht darauf setzen. Der Schimmer dieser möglichen
Erbfolge war zu schwach und irgendwo auch zu hilflos, um es mit der
frostigen ständigen Mitternacht der Tunnel aufnehmen zu
können.
»Danke, Yalson. Laß uns erst diese Sache zu Ende
bringen, dann werden wir leichter eine Entscheidung treffen
können. Aber auch wenn du später deine Meinung ändern
solltest, ich danke dir.«
Es war alles, was er sagen konnte.
Sie kehrten in die dunkle Höhle des Bahnhofs zurück.
Gerade zog der Roboter eine leichte Folie über Neisins reglosen
Körper. »Oh, da seid ihr«, sagte er. »Ich habe
keinen Sinn darin
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