Bedenke Phlebas
als die Kultur
– oder die Wandler – kosteten sie ihren Schmerz voll aus,
ohne ihn durch körpereigene Hemmstoffe zu dämpfen. Die
Wandler betrachteten Schmerz als einen überflüssigen
Rückstand ihrer Evolution aus dem Tierreich. Die Kultur hatte
schlicht Angst davor. Aber die Idiraner behandelten ihn mit einer Art
stolzer Verachtung.
Horza sah über die beiden großen Kanus auf dem Strand
hinweg zu den offenen Hecktüren der Fähre. Ein Paar
prachtvoll gefärbter Vögel stolzierte auf ihrem Dach umher
und vollführte kleine ritualisierte Bewegungen. Horza sah ihnen
eine Weile zu. Das Lager der Fresser erwachte nach und nach, und die
Morgensonne wurde heller. Nebel stieg aus dem dünnen Wald auf.
Hoch oben am Himmel standen ein paar Wolken. Mr. Eins kam aus seinem
Zelt, gähnte und streckte sich, zog dann die schwere
Projektil-Pistole unter seiner Jacke hervor und schoß in die
Luft. Das schien für alle Fresser das Signal zu sein,
aufzustehen und sich an ihre täglichen Obliegenheiten zu machen,
falls sie das nicht bereits getan hatten.
Der Lärm der primitiven Waffe erschreckte die beiden
Vögel auf dem Dach des Kultur-Shuttle. Sie schwangen sich in die
Luft und flogen über die Bäume und Büsche rund um die
Insel davon. Horza sah ihnen nach, dann senkte er den Blick, starrte
den goldenen Sand an und atmete langsam und tief.
»Dein großer Tag, Fremder«, bemerkte Mr. Eins mit
einem Grinsen und stellte sich vor den Wandler. Er steckte die
Pistole in das Bindfaden-Holster unter seiner Jacke.
Horza sah den Mann an, sagte jedoch nichts. Wieder einmal ein
Festmahl mir zu Ehren, dachte er.
Mr. Eins wanderte um Horza herum und blickte auf ihn nieder, Horza
folgte ihm mit den Augen, soweit es ging, und wartete darauf,
daß der Mann den Schaden entdeckte, den der
Säureschweiß an dem Seil um seine Handgelenke angerichtet
haben mochte. Aber Mr. Eins bemerkte nichts, und als er wieder in
Horzas Sichtfeld erschien, lächelte er immer noch leicht, nickte
ein wenig mit dem Kopf und war anscheinend zufrieden, daß das
an den Pfahl gebundene Opfer noch gut genug gefesselt war. Horza
strengte alle seine Kräfte an, um den Strick an seinen
Handgelenken zu dehnen. Er gab nicht um eine Spur nach. Es hatte
nicht geklappt. Mr. Eins ging, um Fresser zu beaufsichtigen, die ein
Fischer-Kanu ins Wasser schoben.
Fwi-Song wurde kurz vor Mittag auf seiner Trage aus dem Wald
gebracht. Das Fischer-Kanu kehrte soeben zurück.
»Geschenk der See und der Luft! Tribut des großen
Kreismeeres mit seinem gewaltigen Reichtum! Sieh, welch ein
wunderbarer Tag dich erwarten!« Fwi-Song wurde auf der anderen
Seite des Feuers abgesetzt. Er lächelte den Wandler an.
»Die ganze Nacht du haben Zeit gehabt, um nachdenken, was dieser
Tag dir bringen werden. Bei all der Dunkelheit du haben können
sehen in die Früchte vom Vakuum. Du haben die Räume
zwischen den Sternen gesehen, du haben gesehen, wieviel da sein vom
Nichts, wie wenig da sein von irgend etwas. Jetzt du sein fähig,
die Ehre zu würdigen, die dir werden zuteil, wie glücklich
du dich können preisen, weil du sein mein Zeichen, meine
Opfergabe!« Fwi-Song klatschte vor Entzücken in die
Hände, und sein enormer Körper schwappte hinauf und
herunter. Die runden Hände führte er beim Sprechen an den
Mund. Die Fleischfalten über seinen Augen hoben sich kurz und
enthüllten das Weiße darin. »Ho- hoo! Welchen
Spaß wir alle werden haben!« Der Prophet machte ein
Zeichen, und seine Träger brachten ihn ans Meer hinunter, damit
er gewaschen und gesalbt werden konnte.
Horza sah zu, wie die Fresser ihre Mahlzeit zubereiteten. Sie
nahmen die Fische aus, warfen das Fleisch fort und behielten die
Gedärme und Häute, Köpfe und Gräten zurück.
Sie entfernten die Schalen von den Krustentieren und warfen die Tiere
fort. Sie mahlten die Schalen zusammen mit Unkraut und ein paar
buntgefärbten Meeresschnecken. Horza sah dies alles vor seinen
Augen geschehen und sah, wie heruntergekommen die Fresser
tatsächlich waren, sah den Schorf und die Entzündungen, die
Mangelerkrankungen und die allgemeine Schwäche. Husten und
Schnupfen, sich abschälende Haut und teilweise deformierte
Glieder, alles sprach von einer letzten Endes tödlichen
Diät. Das Fischfleisch und die Krustentiere wurden den Wellen in
großen, blutgetränkten Körben zurückgegeben.
Horza paßte so genau auf, wie es sein Knebel und die Entfernung
zuließen, aber er erwischte keinen Fresser dabei, daß er
einen heimlichen
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