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Bedroht

Bedroht

Titel: Bedroht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Koppel
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anschauen?«, fragte Kathrine. »Können Sie mir den Film zeigen, damit ich die Möglichkeit habe, mir ein Urteil zu bilden?«
    Erik sah sie verächtlich an.
    »So etwas Privates würde ich niemals Außenstehenden zeigen.«
    »Ist das ein Versprechen?«
    Erik verstand sie nicht.
    »Dass Sie den Film niemand anderem zeigen. Verstehen Sie denn nicht, wie unangenehm das für Anna ist? Sie drohen damit, ihr Leben zu zerstören.«
    »Sie meinen, ihre gelebte Vorortlüge?«
    »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Denken Sie an das Mädchen. Sie ist erst zehn Jahre alt.«
    »Wie rührend«, erwiderte Erik amüsiert. »Verdammt rührend.«
    »Was?«
    »Dieses ständige Gequassel über das Wohl der Kinder. Gnadenlos.«
    Kathrine runzelte verständnislos die Stirn.
    »Sobald es ungemütlich wird, werden die Kinder vorgeschoben. Diese falsche Fürsorge, die alles verbergen soll, was ihr verlogenes Selbstbild bedroht. Ihre Kinder sind diesen Leuten doch scheißegal, sie interessieren sich nur für sich. Kinder sind in ihrer Welt Accessoires, sonst nichts.«
    Er war inzwischen so aufgebracht, dass er beim Reden spuckte.
    »Warum den Kindern die Schuld geben, weil man zu faul ist, sich scheiden zu lassen, und zu müde, sich zu streiten? Das ist eine billige Ausrede. Sie wissen genauso gut wie ich, dass Anna nie bei diesem Holzkopf geblieben wäre, wenn es Hedda nicht gäbe.«
    Kathrine wurde fast übel, als er den Namen des Mädchens in den Mund nahm.
    »Sie hätte ihn schon längst verlassen«, fuhr Erik fort. »Wenn sie ihren Mann so wahnsinnig lieben würde, wie sie behauptet, hätte sie ja wohl kaum ihr Glück woanders gesucht.«
    »Anna liebt ihren Mann«, sagte Kathrine. »Sie haben zusammen ein schönes Leben, das gut funktioniert. Sie hatten einen Flirt, ein Abenteuer. Können Sie sich damit denn nicht zufriedengeben?«
    »Wenn Anna ihren Mann nun so ungemein liebt, warum ist sie dann mit mir ins Bett gegangen? Seien Sie ehrlich.«
    »Das weiß ich auch nicht. Sie fand Sie vermutlich attraktiv.«
    »Attraktiv?«
    »Offenbar.«
    »Und dann ist es okay, den Ehemann zu betrügen?«
    »Nein, ist es nicht. Aber, meine Güte, haben Sie denn nie etwas falsch gemacht? Ich gebe zu, sie hat sich in der Situation nicht sehr vernünftig verhalten.«
    Erik lachte und schüttelte den Kopf. Er trat ans Fenster und schaute auf die Straße hinunter.
    »In jener Situation?«, sagte er und drehte sich um. »Wir haben es vier Mal gemacht. Vier Mal.«
    Er hielt vier Finger in die Luft, überdeutlich wie ein Kind.
    »Wie auch immer«, sagte Kathrine, »es wird nicht wieder vorkommen. Wenn Anna gewusst hätte, dass es so enden würde, hätte sie sich gar nicht erst mit Ihnen eingelassen. Sie brauchen Hilfe. Ärztliche Hilfe.«
    Kathrine stand auf und baute sich vor ihm auf.
    »Ich habe einige Informationen über Sie eingeholt«, sagte sie. »Beim Einwohnermeldeamt habe ich erfahren, dass Ihre Mutter vor zwei Jahren gestorben ist. Und Ihre ehemaligen Nachbarn haben erzählt, dass Sie Ihrer Mutter sehr nahegestanden haben. Wenn Sie meine Tochter nicht in Ruhe lassen, werde ich Ihnen das Leben sauer machen. Verstehen Sie mich? Ich werde Sie öffentlich diskreditieren.«
    Eriks Unterlippe zitterte kurz. Es war nicht klar, ob aus Nervosität oder unterdrückter Wut. Kathrine ließ sich aber nicht einschüchtern.
    »Es liegt ganz bei Ihnen«, sagte sie.

59
    Die Buchstaben verschwammen vor Annas Augen. Schwarze Punkte auf weißem Grund, vertraut jeder für sich, aber zusammen unbegreiflich. Anna zwang ihren Blick von links nach rechts, eine Zeile nach der anderen, von oben nach unten. Trotzdem gelang es ihr nicht, den Worten eine Bedeutung abzutrotzen, und noch viel weniger, sie zu Sätzen zusammenzufügen.
    Das Gehirn funktionierte nicht. Es war überhitzt und verarbeitete nicht, was ihre Augen registrierten. Die vertrauten Geräusche und Stimmen im Büro waren verstummt. Anna presste die Lippen aufeinander.
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die sich taub anfühlten, als hätte sie beim Zahnarzt eine Spritze bekommen.
    Das ausgeschaltete Handy ließ ihr keine Ruhe. Es begann zu vibrieren. Die Vibrationen breiteten sich aus wie Ringe auf dem Wasser und brachten den Tisch zum Beben, die Lampen an der Decke zum Flackern und die Bücherregale so heftig ins Schwanken, dass Ordner, Bücher und Papiere zu Boden fielen, während die Kollegen schreiend, aber vergeblich, unter ihren Schreibtischen Schutz suchten …
    »Hallo! Erde an Anna

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