Bedrohung
Cain stand jetzt keinen halben Meter von mir entfernt und stocherte mit der Pistole im Gebüsch herum.
Jeden Moment würde er mich entdecken.
»Verdammte Scheiße, wo steckt er?«, hörte ich Cecil in einiger Entfernung fluchen. »Irgendwo muss er doch sein.«
In diesem Moment steckte Cain seinen Kopf ins Dickicht, und ich fragte mich, ob er mein Blut riechen konnte. Er brauchte nur nach unten zu sehen, dann wäre ich erledigt.
Ich biss die Zähne zusammen und bereitete mich auf den Tod vor.
Draußen auf der Straße bremste ein Auto.
Dann hörte ich etwas laut piepen, und Cains Kopf verschwand.
Er ging ein paar Schritte, zog ein Handy aus der Tasche und starrte auf das Display.
»Wir müssen los«, verkündete er. Er hielt einen Moment inne, und dann sagte er etwas, was mich völlig aus dem Konzept brachte: »Fox wird jeden Augenblick unterwegs sein.«
Fox. Der einzige überlebende Terrorist des Stanhope-Anschlags. Was zum Teufel meinte Cain damit?
»Aber wir müssen Jones finden«, erwiderte Cecil nervös. »Wir können ihn nicht zurücklassen. Er wäre ein Zeuge.«
Cain wollte nichts davon wissen. »Egal, selbst wenn er noch lebt, kann er uns nichts anhaben. Er steckt genauso tief drin wie wir. Los, komm.«
Ohne Cecil weiter zu beachten, drehte er sich um und ging mit knirschenden Schritten über den Kies davon. Cecil folgte ihm zögerlich, doch dann waren beide verschwunden.
Ich war am Leben. Wenn auch nur noch ein bisschen.
63
20:50
Fox saß auf seiner Pritsche, rauchte eine Zigarette und lauschte den aus dem anderen Trakt wie Musik herüberwehenden Geräuschen der Häftlingsmeuterei.
Die Zelle, in die sie ihn gesteckt hatten, hatte keinen Fernseher, deshalb konnte er nicht mehr verfolgen, was draußen vor sich ging. Aber das spielte keine Rolle. London würde ein Tollhaus sein, und die Regierung dürfte sich vergeblich darum bemühen zu demonstrieren, dass sie die Lage unter Kontrolle hatte, obwohl jeder sehen konnte, dass das nicht stimmte. Fox lächelte. Er genoss es, wieder einmal das Gefühl der Macht zu verspüren. Die Polizei war verzweifelt hinter jeder Information her, die er ihr geben konnte, zumal der Name, den er Tina Boyd genannt hatte, solch dramatische Folgen bewirkt hatte. Genau deshalb hatte er Tina ausgesucht. Im Gegensatz zu den meisten Cops heutzutage erzielte sie Resultate.
Fox war schon immer ein geduldiger Mensch gewesen. Als Kind konnte er stundenlang mit seinem Vater am See sitzen und angeln. Schon damals lernte er, dass am Ende einer anbeißen würde, wenn man lange genug wartete. Diese Erkenntnis hatte ihm über die unzähligen monotonen Tage im Gefängnis hinweggeholfen.
Doch als er nun dasaß, fiel es ihm schwer, ruhig zu bleiben. Der Erfolg der monatelangen Planung war davon abhängig, was in den nächsten Stunden passierte. Es konnte immer noch alles Mögliche schiefgehen. Und in seinem Herzen wusste er, dass dies seine einzige Chance sein würde. Er hatte alle seine Karten auf den Tisch gelegt. Jetzt musste er abwarten, ob sie die der anderen ausstachen.
In seinem Büro starrte Direktor Jeremy Goodman auf das Telefon auf seinem Schreibtisch und lauschte dem schrillen Klingeln. Obwohl er für seine vierundsechzig Jahre noch sehr vital war, erwog er zum ersten Mal, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen. Seit über dreißig Jahren arbeitete er im Justizvollzug, die letzten zehn als Leiter von Westmoor, und bis vorhin hatte er sich auf die ruhige und friedliche Atmosphäre, die er seinen Häftlingen bot, einiges eingebildet. Doch nun waren seine ganze Arbeit, all seine Mühen binnen weniger Minuten zerstört worden. Die Häftlinge hatten ihm seine Fürsorge mit einer destruktiven und letztlich sinnlosen Revolte gedankt, die mittlerweile bereits zwei Trakte erfasst hatte.
Er sah ein, dass er sich dem Anruf nicht länger entziehen konnte, und nahm ab. Es war Innenminister Alan Harris persönlich, ein befremdlicher kleiner Law-and-Order-Mann, der durchscheinen ließ, dass er Kriminelle gerne auspeitschen und hängen würde, ein Mann, der für die Herausforderungen einer modernen Gesellschaft gänzlich ungeeignet war.
Nach einem kurz gehaltenen Austausch von Höflichkeiten kam Harris direkt zur Sache.
»Wir verlegen den Häftling Garrett«, sagte er mit seiner näselnden Stimme, die Goodman jedes Mal zur Weißglut trieb.
»Auf wessen Weisung?«
»Auf Weisung des Premierministers. Die Papiere müssten sich bereits in Ihrer Mailbox befinden. Eine bewaffnete
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