Bedrohung
um die Männer hinter dem Anschlag auf das Stanhope zu identifizieren, dann müsste er jetzt vielleicht nicht hier stehen. Aber er hatte versagt. So einfach war das, und er konnte niemandem die Schuld dafür geben außer sich selbst.
»Mr. Butt ist da drinnen«, sagte Tina und ging ihm entgegen. »Er sagt, er sitze irgendwie in der Falle, und er klingt verängstigt.«
»Dann zieh dich zurück, und hilf bei der Evakuierung. Das Entschärfungskommando ist unterwegs. Am besten, wir überlassen die Sache ihnen.«
Sie nickte und wandte sich zum Gehen, während Bolt einen Blick auf das Haus warf. Wenn Butt noch drin war, dann nur, weil er sie in einen Hinterhalt locken wollte, irgendein wahnsinniges Selbstmordattentat plante, sobald sie eindrangen. Aber wie hing er mit Cain und Cecil Boorman zusammen? Die Geschichte ergab keinen Sinn.
Die Explosion, die den ersten Stock des Hauses mit einem ohrenbetäubenden Knall wegfegte, erwischte Bolt und schickte ihn rückwärts über das Mäuerchen, das das Grundstück von der Straße trennte. Er bekam noch mit, dass eine Welle heißer Luft über ihn hinwegjagte, gefolgt von den Geräuschen dumpf aufprallender Ziegel. Das Ganze dauerte nicht länger als eine halbe Sekunde. Dann spürte er einen scharfen, stechenden Schmerz, und die Welt schien sich zu verabschieden.
59
20:12
Voorhess hörte das leise Geräusch der explodierenden Bombe, achtete jedoch nicht weiter darauf. Im Schutz der Bäume, die den Hauptweg säumten, lief er so schnell er konnte durch den dunklen Park. In seiner Jugend war er ein guter Mittel- und Langstreckenläufer gewesen. Zwar von Anfang an zu groß für einen Sprinter, aber auch heute noch joggte er viermal die Woche über die steinigen Küstenpfade in der Nähe seines Hauses am Kap. Deshalb hatte er auch keine Schwierigkeiten, die aufkommende Müdigkeit zu unterdrücken. Das Laufen hatte ihn immer beruhigt und zum Nachdenken angeregt. Trotzdem fühlte er zum ersten Mal seit Langem wieder den Druck der Ereignisse.
Ein Polizeihubschrauber war bereits am Rand des Parks entlanggeflogen. Wenn er den Park überflog, was eher früher als später der Fall sein würde, würden ihn die wärmeempfindlichen Sensoren aufspüren. Und hatten sie ihn einmal geortet, würden sie ihn nicht mehr aus den Augen lassen, bis sie ihn festgenommen hatten. Er musste schnellstens wieder unter Leute, dorthin, wo er nur eine Wärmequelle unter vielen war. Das war die einzige Möglichkeit, denn er hatte eine Heidenangst vor engen Räumen. Davor, in der Falle zu sitzen. Das Gefängnis wäre für ihn ein grausameres Schicksal als der Tod. Der kam wenigstens schnell. Keine Foltermethode war so barbarisch, wie jahrelang eingeschlossen zu sein, dachte er.
Deshalb beschloss er, dass sie ihn nicht lebend kriegen würden.
Er hörte den Hubschrauber wenden, das Dröhnen der Rotoren rückte näher. Das Südende des Parks war höchstens noch dreißig Meter entfernt, er konnte bereits die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos ausmachen. Er mobilisierte seine letzten Reserven und sprintete auf sein Ziel zu.
Das Tor war verschlossen. Er nutzte seinen Schwung und sprang darüber hinweg. Doch der Hubschrauber kam unaufhaltsam näher. Gleich würden seine Wärmesensoren ihn erfassen, und er wäre erledigt.
Zwanzig Meter rechts von ihm stand ein Polo an einer Ampel. Aus ihm dröhnten die lauten Bässe eines hirnlosen Beats. Auf der anderen Seite warteten zwei weitere Autos ebenfalls darauf, dass ein junges Paar die Straße überquerte. Voorhess lief los. Der Polo jagte ungeduldig den Motor hoch, doch da hatte Voorhess bereits die Beifahrertür erreicht. So beiläufig wie möglich zog er sie auf, warf seine Tasche auf den Rücksitz und stieg ein, noch ehe der überraschte Fahrer den Gang eingelegt hatte.
Das junge Pickelgesicht glotzte Voorhess mit weit offenem Mund an.
»Fahr los«, herrschte Voorhess ihn an und drückte ihm die 22er in die Rippen.
Der Junge starrte ungläubig auf die Waffe, gab einen weinerlichen Seufzer von sich und gehorchte. In diesem Moment flog der Hubschrauber mit knatternden Rotoren über sie hinweg.
60
20:13
Die ganze Welt war wie gedämpft, als hätte jemand Tinas Ohren mit Watte vollgestopft. Sie kam unbeholfen auf die Beine und sah sich um. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen, die Stimmen der Menschen, die auf sie zueilten, klangen fremd und entfernt.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihre fünf Sinne wieder beisammen hatte und kapierte, was passiert
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