Bedrohung

militärische Erfahrung haben. Um eine Stinger abzufeuern, braucht man gewisse Kenntnisse, dafür kann man nicht jeden Deppen von der Straße einsetzen. Und als wir versucht haben, ihn aufzuhalten, ist er nicht in Panik geraten.«
    »Wir kriegen ihn trotzdem«, erwiderte Bolt trotzig. »Er wird nicht weit kommen, wenn ihm die halbe Met im Nacken sitzt.«
    Tina verkniff es sich anzumerken, dass er bislang ziemlich erfolgreich agiert hatte. Stattdessen ging sie zurück in den Sicherheitsbereich, um weitere Anwohner zu evakuieren. Fox hatte behauptet, die Hintermänner des Islamischen Kommandos seien britische Extremisten, was erklären würde, warum der Mann, der aus dem Haus gekommen war, weiß war. Und durch Jetmir Brozi hatten sie bereits eine Verbindung zwischen Fox und dem Islamischen Kommando herstellen können. Trotzdem hatte sie das Gefühl, etwas zu übersehen. Und sie wollte wissen, wo der Hauseigentümer, dieser Mr. Butt, steckte.
    Ein uniformierter Cop näherte sich dem Haus und verstieß damit gegen alle Vorschriften. Tina beobachtete, wie er sich bückte und durch den Briefschlitz spähte.
    »He, zurück da!«, rief sie, wobei ihr die Ironie nicht entging, dass ausgerechnet sie, die sich im Missachten von Vorschriften auskannte, nun einen Kollegen dafür maßregelte. Aber sie wusste auch, dass die Terroristen heute Morgen eine Sprengfalle hinterlassen hatten und sich deshalb auch hier eine befinden konnte. »Niemand betritt das Haus, ehe nicht das Bombenentschärfungskommando eingetroffen ist.«
    Der Cop drehte sich zu ihr um und sah sie nervös an. »Aber da drin ruft jemand um Hilfe.«
    »Das ist egal«, entgegnete Tina. Sie ging zu ihm hin, packte ihn am Arm und zog ihn weg. »Wir müssen vorsichtig sein. Es könnte sich um eine Falle handeln.«
    »Er klingt aber, als hätte er Angst.«
    »Okay. Treten Sie zurück.«
    Sie sah zu Bolt hinüber, der inzwischen mit ein paar CO19-Kollegen sprach, die eben eingetroffen waren. Dann beugte sie sich selbst zum Briefschlitz hinunter.
    Sie hörte es sofort. Die schwachen Laute eines Mannes, der von irgendwo im Haus um Hilfe rief. Und die Stimme war voller Angst.
    »Hier spricht die Polizei!«, rief sie durch den Schlitz. »Sind Sie das, Mr. Butt?«
    Er antwortete nicht, deshalb versuchte sie es noch mal. Lauter.
    Nach zwei, drei Sekunden antwortete er. »Ja, Sie müssen mir helfen. Ich stecke in der Klemme.«
    »Ich kann Sie hören. Wir sind gleich bei Ihnen.«
    Sie stand auf und winkte Bolt, er solle herüberkommen.
    Voorhess fuhr zum Eingang des Parks und stellte den Streifenwagen am Zaun ab. Bäume überschatteten die Stelle, und es würde schwer sein, ihn von der Straße aus zu erkennen. Von allen Seiten drangen Sirenengeräusche auf ihn ein, aber er schenkte ihnen keine Beachtung mehr, sondern holte die Tasche aus dem Kofferraum und schwang sich über den Zaun. Im Park bewegte er sich zielstrebig durch die Dunkelheit in Richtung der gegenüberliegenden Seite und zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl er sich mehr als jemals zuvor wie ein gejagtes Tier fühlte.
    Er musste ein Ablenkungsmanöver inszenieren und die Bombe in Butts Haus zünden. Die Polizei dürfte inzwischen eingetroffen sein, vielleicht schon letzte Vorbereitungen zum Eindringen treffen, und er war sich sicher, ein paar von ihnen zu erwischen. Mit ein bisschen Glück sogar die Frau, die ihn gesehen hatte.
    Er zog das Handy aus der Tasche und wählte die gespeicherte Nummer des Telefons, das mit dem Zünder der Bombe verbunden war. Er fragte sich, ob er wohl trotz dieser Entfernung das dumpfe Explosionsgeräusch hören würde.
    »Was zum Teufel machst du da? Komm zurück.«
    Bolt marschierte auf Tina zu und bedeutete ihr gestikulierend, sich vom Eingang von Butts Haus fernzuhalten. Manchmal, dachte er, ist sie wie ein unartiges Schulmädchen, das es immer an Orte zieht, an denen es nichts zu suchen hat. Während er ging, spürte er seine weichen Knie. Ihm war schwindelig, und er hatte immer noch Schwierigkeiten, damit klarzukommen, dass er vor wenigen Minuten beinahe zu Tode gequetscht worden wäre. Über den Häusern sah er in der Ferne die angestrahlte, dichte schwarze Rauchwolke, die The Shard einhüllte – eine brutale Erinnerung an den Anschlag, den sie nicht hatten verhindern können. Wenn er nur schneller reagiert, Jones besser im Auge behalten hätte und ihm zu dem Treffen gefolgt wäre, bei dem die Rakete übergeben worden war. Wenn er in den letzten Monaten härter gearbeitet hätte,