Beerensommer
über dem Enztal aus nordwestlicher Richtung kommend Flugzeuge sehen!
Diese neumodischen Maschinen, die sich tatsächlich über einen längeren Zeitraum in der Luft halten konnten, waren zwar schon einige Male über Grunbach aufgetaucht, aber nur als Attraktion von den Menschen begafft worden, die mit weit nach oben gestreckten Köpfen und mit offenen Mündern diese Wunderwerke der Technik bestaunten. Aber jetzt im vierten Jahr des Kriegs verhießen diese Flugzeuge nichts Gutes. Die Grunbacher hatten von den Bombenabwürfen gehört und die Zeitungen hatten in großen Spalten von den Toten in Karlsruhe, Freiburg und anderswo berichtet, die Opfer der Bombenabwürfe geworden waren. Daran mochte vielleicht auch der eine oder andere denken, aber sei es aus Pietät oder auch aus einer verblüfften Erstarrung heraus – alle blieben wie angewurzelt stehen und konnten beobachten, wie die Maschinen, riesigen schwarzen Vögeln gleich, über dem Ortskern förmlich stillzustehen schienen und dann unter dem immer stärker werdenden Dröhnen der Motoren abdrehten und wieder in die Richtung zurückflogen, aus der sie gekommen waren. Die Wolkendecke hing immer noch schwer über dem Enztal. Trotzdem konnte man das gleich darauf folgende Aufblitzen von Feuer sehen und dann schwere Detonationen hören.
»Bomben, sie haben Bomben auf Grunbach geworfen!« Johannes hörte sich selbst schreien und dann stob die Trauergemeinde unter Gekreisch auseinander und der Herr Pfarrer konnte gerade noch aufs Äußerste verkürzt die Aussegnungsformel sprechen. Dann machte er sich ebenfalls mit den Totengräbern davon, die den Sarg mit Ludwig Mühlbecks sterblichen Überresten einstweilen in der offenen Grube stehen ließen. Der alte Mühlbeck konnte warten, es gab Wichtigeres zu tun.
Im Dorf rannte alles wild durcheinander, die meisten suchten Schutz und Zuflucht in den Kellern, als aber nach einer Weile kein weiteres Flugzeug mehr am Horizont erschien, versammelte man sich auf der Straße. Wilde Gerüchte machten die Runde, man schrie sich Schreckensmeldungen zu, von Toten war die Rede und von großen Zerstörungen; aber dann verzog sich im wahrsten Sinn des Wortes der Rauch, der über dem südlichen Eiberghang lag, und die Lage wurde übersichtlicher. Die freiwillige Feuerwehr mit der alten Spritze war in der Zwischenzeit ausgerückt, aber außer ein paar verkohlten Bäumen fanden sie nicht viel vor.
Drei der abgeworfenen Bomben hatten ihr Ziel verfehlt und waren am Waldrand aufgeschlagen und explodiert. Aber es waren vier Aufschläge gewesen, also hatte es auch vier Bomben gegeben – um Himmels willen, wo war die vierte Bombe geblieben! Neue Schreckensmeldungen kursierten, dann gab es einen großen Auflauf vor dem Zinser’schen Sägewerk und die Nachricht sickerte durch, die vierte sei ein Blindgänger und liege vor der Villa der Zinsers! Die Ortspolizisten versuchten die Leute zurückzudrängen, die allerdings nach Bekanntwerden der Nachricht freiwillig einen größeren Abstand einhielten. Man habe eine Meldung in die Kreisstadt geschickt, hieß es, Militär sei unterwegs und ein Spezialist, der die Bombe entschärfen werde.
Frau Zinser und ihre älteste Tochter verließen das Haus in äußerster Eile, das Auto fuhr vor und überstürzt gepackte Koffer wurden eingeladen, dann hörte man lautes Hupen und der Wagen mit einem schreckensbleichen Chauffeur am Steuer fuhr in großer Geschwindigkeit davon. Im Badhotel in Wildbad habe der Herr Sägewerksbesitzer Zinser seine Familie vorläufig einquartiert, raunte sich die Menge zu, die sich nach und nach zerstreute, und auch die Dienstboten wurden nach Hause geschickt, bis die Bombe entfernt war.
»Das war doch ein furioser Abgang für den alten Mühlbeck«, meinte Friedrich am Abend grinsend zu Johannes. Sie waren den Eiberg hinaufgestiegen, auf den alten vertrauten Trampelpfaden, denn der Regen hatte nachgelassen und eine blasse Abendsonne hatte sich durch die Wolken gezwängt. Der Boden war nass und glitschig, der Wald dampfte förmlich unter den plötzlich einfallenden Sonnenstrahlen und Johannes blieb immer wieder stehen, um tief den vertrauten Geruch des sommerlichen Waldes aufzunehmen – diesen ganz besonderen, süßlichen, erdigen Geruch. Wie hatte er sich nach diesem Augenblick gesehnt!
Doch jetzt lag ein doppelter Schatten auf seiner Rückkehr. Deshalb sagte er in strengem Ton: »Mach keine Witze darüber, Fritz. Der alte Mühlbeck, irgendwie hat er doch dazugehört. Und Ludwig
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